Start-ups: Trends und Entwicklungen Vol 2

The opposite of courage in our society is not cowardice, it is conformity. (Rollo May)

Elektrisierend, vibrierend oder pulsierend, egal welche Worte ich verwende, alle drücken das Gleiche aus: hier in San Francisco erlebe ich einen nicht enden wollenden Strom an smarten, mutigen und offenen Menschen, die oft eines eint: sie wollen etwas bewegen, wollen lernen und sich entwickeln, auch außerhalb ihrer Komfortzone. Dies wird nicht nur in der Start-up Szene erfahrbar, sondern in vielen Lebensläufen von Menschen, die ich hier fast täglich neu kennenlernen.

Ich bin nun schon die zweite Woche in San Francisco, mich beschäftigen die Ereignisse im Nahen Osten sehr, aber gleichzeitig zehre von dieser Energie hier, die von Mut und Offenheit geprägt ist. Wohin sich diese Energie in Form von Risikokapital, Geschäftsmodellen und Start-ups in San Francisco bewegt, darum geht es in diesem Beitrag.

Wenn die summe mehr als seine teile ist

Ich bin seit vielen Jahren regelmäßig in der Bay Area und stelle mir immer wieder die Frage, worin das Geheimnis dieser Bay Area liegt. Einer Region, die vor 70 Jahren noch Ackerland war und wo man permanent Europäer, Österreicher und vor allem auch Kärntner trifft. Und meine Erkenntnis aus gefühlt hunderten Gesprächen oder Begegnungen ist über die letzten Jahre die Gleiche:

Menschen hier sind weder intelligenter noch innovativer, noch gibt es hier eine bei “uns unbekannte Raketenwissenschaft”. Doch machen Menschen hier etwas entscheidend anderes und zwar:

  • Offenheit: es ist fast unmöglich, hier nicht andere Menschen kennenzulernen. Jeden Abend gibt unzählige Meet Ups, Konferenzen oder sonstige Events, jeder spricht mit jedem. Social oder dress codes, wie bei uns in Österreich, gibt es hier nicht, man hat keine Ahnung, wer gerade neben einem steht. Es kann ein Investor, Unternehmer oder Start Up sein, das macht es hier sehr aufregend.

  • Mut: jeden Tag treffe ich hier Menschen die, egal welches Alters, noch etwas probieren wollen. Sei es der Halbleitermanager, der nach 30 Jahren mit 55 Jahren noch einmal ein Start-up gründet, einfach weil er unbedingt technologisch noch etwas in die Welt setzen möchte. Oder der 20 -jährige Stanford Student, der neben seinem Studium schon das zweite Mal ein Start-up gründet.

Das Ergebnis ist eine explosive Mischung aus Startkapital, Mut, Risikobereitschaft und vor allem für mich das Wichtigste: die Menschen leben in einem Ecosystem, wo jeder vom anderem lernt, wo jeder etwas von sich gibt, auch “Pay it forward “ genannt. Und wo nicht in einem kleinkarierte Denken jeder dem anderen etwas neidig ist, nicht gegeneinander gearbeitet wird.

Wenn man Mut nicht kaufen kann

Im Jahr 2010 lebte Apoorva Mehta in Seattle, arbeitete bei Amazon, hatte vom Leben in einem großen Konzern genug, kündigte seinen Job und zog nach San Francisco. In den nächsten beiden Jahren gründete er über 20 Start-ups, wie z.B. ein Werbe-Startup für Spielefirmen bis hin zu einem sozialen Netzwerk für Anwälte, die alles eines gemeinsam hatten: sie scheiterten!

  • Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, nicht einmal oder zweimal scheitern, sondern 20 Mal.

Er gab nicht auf und probierte es weiter, der Mangel an Lebensmitteln "war ein ständiges Problem für mich", so Mehta. Er löste das Problem, in dem er das Unternehmen Instacart gründete, innerhalb von 3 Wochen schrieb er die Codes für eine App, die Basis für ein Lieferservice, was bestehende Handelsketten einfach verschlafen haben. Und er bewarb sich beim Startup-Accelerator Y Combinator und verpasste die Anmeldefrist - aber er gab wieder nicht auf. Er schickte mit seiner App ein Sixpack Bier an das Y Combinator, überzeugte damit und bekam den Platz, was für eine Geschichte.

Instacart hat heute Partnerschaften mit über 350 Einzelhändlern, die über mehr als 25.000 Lebensmittelgeschäfte verfügen und ist am 18. September erfolgreich an die Börse gegangen.

Trends und Entwicklungen

Ich bin auch nicht immer ein Fan von solchen Geschichten, denn sie haben oft etwas verklärtes an sich. Aber sie zeigen doch etwas sehr deutlich: man kann sich bei uns auch zu Tode fürchten, sich dauernd vom Weg abringen lassen, jammern und raunzen, nichts bewegen wollen und vor allem sich nicht mutig nach vorne zu bewegen.

Das erlebe ich hier eben ganz anders, trotz unsicherer Wirtschaftslage, vielen Entlassungen wird gerade der Boden für die nächsten Innovationen geebnet. Vor allem bleiben hier auch viele trotz Unwägbarkeiten drann, behalten den Fokus, im englischen “perseverance” genannt. Diese zahlt vor allem dann aus, wenn die Lage für Start-ups nicht so rosig ist.

Denn die weltweite die Risikokapitalfinanzierung erreichte im dritten Quartal 2023 eine Summe von 73 Milliarden US-Dollar - ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorquartal. Aber das ist noch immer ein Rückgang um 15 % gegenüber den 86 Milliarden US-Dollar, die im dritten Quartal 2022 investiert wurden,

Trotz des Anstiegs im Vergleich zum Vorquartal ist dies das zweitniedrigste Quartal seit dem Beginn des Rückgangs der Finanzierung im Jahr 2022. Dem zufolge befindet sich die Startup-Welt nun schon seit fünf bis sechs Quartalen in der Phase des aktuellen Finanzierungsrückgangs. Vor allem der Bereich der Frühphasenfinanzierung ist stark zurückgegangen:

KI boomt noch immer

Die größte KI-Runde ging zuletzt an den Open AI-Konkurrenten Anthropic. Das Unternehmen erhielt 1,3 Milliarden Dollar von Amazon und verpflichtete sich, AWS und Amazons hauseigene Chips zum Trainieren von Modellen zu verwenden. Das Cloud-Datenunternehmen Databricks sammelte 500 Millionen Dollar ein, was die größte Finanzierungsrunde im letzten Quartal war.

Was ich hier bei all den Pitch Events und Demodays erlebe: das Geld fließt in Bereiche wie Biotech, Halbleiterindustrie, Nachhaltigkeit, Datenbanken und vor allem alles rund um Large Language Models. Vor allem alles rund um Daten, wenn es darum geht aus unstrukturierten Daten strukturierte zu machen.

Ausblick:

Morgen gibt es eine Sonnenfinsternis, die eigentlich nie gute Nachrichten bedeuten. Wenn man sich die aktuelle Weltlage ansieht, die Spiralen der Gewalt und Eskalationen, dann bleibt oft nur Betroffenheit und Sorge. Aber wenn ich aber hier Menschen erlebe, die mutig etwas in die Welt setzen und Unternehmen gründen, die unsere Welt auch ein wenig besser machen wollen, dann macht das Hoffnung.

Nächste Woche kommt wieder eine Gruppe an österreichischen Führungskräften hierher in die Bay Area, wir werden wieder in dieses Ecosystem eintauchen, diesen Mut und diese Energie hier hautnah erleben. Ich freue mich schon sehr darauf und freue mich noch mehr, ganz viel von diesem Mut mit nach Österreich zu bringen. Den brauchen wir, vor allem wenn es darum geht, das Neue zuzulassen.

Autor: Mag. Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Veranstaltungstip: nächste Lernreise in das Silicon Valley 03.-07.Juni, 2024

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.