MitarbeiterInnen gewinnen und behalten

„Jeder ist jemand“ - mit diesem Zitat des Schriftstellers George Tabori hat der deutsche Publizist, Jurist und Philosoph Michel Friedmann letzte Woche im Rahmen eines Gedenktages im österreichischen Parlament den Parlamentariern mit messerscharfen Worten und bestechender Klarheit den Spiegel vorgehalten, wie die Würde des Menschen heute noch oft mit Füßen getreten wird. Eine Rede, die mich sehr berührt hat und mich zu diesem Blog veranlasst hat, ich empfehle es sehr, diese anzuhören.

Menschen in Organisationen leiden zwar nicht immer unter der Verletzung der Menschenwürde, sondern vor allem unter mangelnder Wertschätzung und sind aus diesem Grund auch bereit Ihren Job zu wechseln, was für Unternehmen im Zeitalter des Mitarbeitermangels verheerende Folgen haben kann.

Wie Wertschätzung und die Würde des Menschen in Unternehmen gelebt werden kann, Unternehmen dadurch MitarbeiterInnen für das Unternehmen gewinnen könnten und dadurch Menschen langfristig an das Unternehmen gebunden werden können, darum geht es in diesem Beitrag.

Die Würde des Menschen

Die Idee der Menschenwürde entstand schon in der Spätantike und wurde in Europa im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance (15. und 16. Jahrhundert) wieder aufgegriffen, wurde weiterentwickelt und findet sich nun in den wichtigsten Grundrechten wieder. In Deutschland ist es im Grundgesetz Artikel 1 mit den Worten verankert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ In der Europäischen Union ist die Menschenwürde in der Grundrechtscharta mit den Worten verankert: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.”

Trotzdem wird heute in öffentlichen Debatten “Mancher ein Niemand”, wird mit Hass und Diskriminierung gespielt, nur um politische Kleingeld zu gewinnen. Ein Spalt geht durch unserer Gesellschaft, Polarisierungen nehmen zu, die durch diffuse Ängsten und Unsicherheiten noch verstärkt werden. Der Mittelschicht frisst die Inflation den Wohlstand weg, Vertrauen in Institutionen ist verloren gegangen und nun ist die Zeit der Populisten, die polarisieren und ausgrenzen, damit überall in Europa gewinnen, auf Kosten der Menschenwürde.

  • Was bedeutet nun diese Würde?

Die Menschenwürde ist nach moderner Auffassung der Wert den wir Menschen geben, unabhängig ist von von ihren Eigenschaften wie Herkunft, Geschlecht, Alter oder Status. Dieser drückt sich durch Respekt aus und gleicher Behandlung, unabhängig von den erwähnten Eigenschaften.

Wird dies in der Gesellschaft im Alltag auch so gelebt ? Da bin ich mir nicht so sicher, auch jenseits politischer Populisten. Ständig mustern und kategorisieren wir, in Sekundenschnelle kommt jede Person in eine Schublade, im wirtschaftlichen Kontext wird sofort überprüft, ob der andere für mich wichtig ist.

Ich will nicht falsch verstanden werden, Vorurteile sind ganz normale menschliche Züge, doch sie können zu chronischen, emotionalen Fixierungen kommen, die keine Offenheit oder Neues zulassen. Menschen werden auf Grund Ihrer Herkunft oder anderer Eigenschaften wenig zugetraut, was vor allem in Unternehmen zu einem großen Problem werden kann. Denn MitarbeiterInnen leben nicht ihr Potentiale, Unternehmen finden heute keine MitarbeiterInnen mehr und die die sie haben könnten, sehen genau, ob in Ihrem Unternehmen Wertschätzung und Menschenwürde gelebt wird.

Wertschätzung

Denn ein wichtiger Aspekt der Menschenwürde ist die Wertschätzung, die in der direkten Kommunikation ausgedrückt wird. Einer aktuellen Umfrage im Rahmen der "Job-Happiness-Studie 2022" (XING) folgend gaben 40 Prozent aller deutschen Arbeitnehmerinnen bekannt, dass sie „eine angemessene Wertschätzung für ihre Arbeitsleistung“ vermissen. Gleichzeitig bemängelt jeder fünfte Befragte die Unternehmenskultur seines Unternehmens (21%), was bei einer repräsentativen Studie von über 3000 Befragten erschreckend ist.

Die Folgend sind deshalb dramatisch, weil noch nie so viel ArbeitnehmerInnen bereit sind ihren Job zu wechseln. Von den Befragten planen 46 % innerhalb der nächsten 12 Monate nach einem neuen Job Ausschau zu halten. In Schweden ist das Interesse an einem neuen Arbeitsplatz mit 55 % besonders hoch, in Spanien mit 44 % am niedrigsten.

Das Problem könnte sich in den nächsten Monaten noch verschärfen. Laut der Personal HR Studie erwarten 38 % der Personalverantwortlichen, dass innerhalb der nächsten 6-12 Monate mehr Kündigungen eingehen.

Dies ist deshalb relevant, weil der Grund vor allem in der mangelnde Wertschätzung liegt.

Warum Menschen Unternehmen verlassen

Die Gründe, warum Menschen nun so gerne wechseln wollen, sind immer ähnlich. Ich habe hier an dieser Stelle einige Gründe von unterschiedlichen Studien angeführt, die unter dem Titel Wertschätzung und Betriebsklima zusammengefasst werden kann.

  • Mehr Empathie des Vorgesetzten würde 92 % aller Mitarbeiter dazu veranlassen, bei Ihrem Arbeitgeber zu bleiben. (Quelle: Businesssolver)

  • 43 % von über 2.000 Mitarbeitern geben die Unternehmenskultur als Hauptgrund dafür an, warum Sie einen Jobwechsel anstreben (Quelle: Hays)

  • 70 % von 2000 befragten Beschäftigten würden Ihren Job und Arbeitgeber verlassen, wenn es an ehrlicher Kommunikation mangelt. (Quelle: Jive Communications)

Salbungsvolle Reden im Rahmen der Weihnachtsfeier am Ende des Jahres reichen heute einfach nicht mehr, MitarbeiterInnen wollen sich nicht für dumm verkauft fühlen. Menschen dürsten nach ehrlicher, einfacher Begegnung, die nicht aufgesetzt und erzwungen ist, sondern respektvoll ist. Diese kann in Unternehmen nur gelingen, wenn sie persönlich, individuell und glaubwürdig stattfindet.

Und wenn dies noch von Führungskräften authentisch gelebt wird, dann braucht es keine aufgesetzten Retention Programme wie Yoga in der Arbeit, Obstkorb oder Tischtennistische.

Ausblick

Ich war nach meinem Studium mit dem Erasmusstipendium in Edinburgh, war einige Jahre in Brüssel im Europäischen Parlament und bin dadurch ein glühender Europäer geworden. Europa mit einer EU, die aus den Trümmern des 2. Weltkrieges entstanden ist mit der klaren Vision, dass dies niemals mehr stattfinden darf. Das hat mich begeistert und berührt, voller Enthusiasmus habe viele Länder bereist.

Nun haben wir Krieg in der Ukraine, wir haben Populisten an der Macht und viele Menschen, die verunsichert sind und die sich den Alltag nicht mehr leisten können. Es steht viel am Spiel, unser Wohlstand, unser sozialer Friede oder die Sicherheit für die nächste Generation.

Aber unabhängig von diesen großen Problemen beschäftigt mich auch, dass so viele Menschen nicht die Wertschätzung in Organisationen erfahren, die sie verdienen. Niemand ist heilig, auch ich habe viele Vorurteile, aber ich liebe die Menschen, egal aus welcher Gesellschaftsschicht. Nicht weil ich ein Heiliger bin, sondern weil mich einfach andere Menschen interessieren und bin immer wieder verblüfft. Jeder hat seine Geschichte, die mich überrascht und berührt. Ich rede mit Menschen nicht aus Kalkül, sondern weil ich ein vitales Interesse und eine tiefe Neugier an anderen Menschen habe, jenseits gesellschaftlicher Herkunft.

Dabei bin ich dann immer überrascht, wie dankbar viele Menschen sind, wenn ihnen einfach einmal jemand zuhört oder sie in der Dienstleistung ein einfaches Dankeschön hören.

Ich war selber Führungskraft und begleite seit vielen Jahren Führungskräfte, wenn ich eines gelernt haben, dann dieses: Wertschätzung und Respekt anderen zu geben, zuzuhören und wirklich präsent sein, das unterscheidet gute Führungskräfte von schlechten.

Gerade KI wird dies noch mehr von uns fordern, genaue diese Fähigkeit mit anderen zu sein und damit anderen Menschenwürde und Wertschätzung zu geben.

Denn “Jeder ist Jemand” - wenn Führungskräfte dies ein wenig mehr verinnerlichen, dann hätten viele Unternehmen auch keine Probleme mehr MitarbeiterInnen zu finden zu behalten.

Tip: Executive Learning Journey, 16.Oktober bis 20. Oktober 2023

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

 

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Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.

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