Auswüchse von Hybris verhindern

Weinende Frauen, die sich an der ukrainischen Grenze von Ihren Männern verabschieden müssen. Zerbombte Kinderspitäler, Flüchtlingsströme und unfassbares Leid, das alles mitten in Europa. Niemals hätte ich mir vorstellen können, das nochmals erleben zu müssen.

Alles nur, weil ein unberechenbarer Despot in einer machtvollen Führungsposition zum Diktator wird, damit Tod, Leid und Elend bringt, mit noch unabsehbaren Folgen seelischer, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Natur. Die Hilfsbereitschaft ist groß, Benefizkonzerte oder karitative Projekte an jeder Ecke, Unternehmen positionieren sich solidarisch für den Frieden.

Aber wie konnte es soweit kommen und wie können wir verhindern, dass dies nicht wieder passiert? Das ist die Frage die mich bewegt und interessiert, vor allem warum sich Menschen in Machtpositionen so verändern, damit einen Kollateralschaden anrichten können, darum geht es in diesem Beitrag, vor allem wie man dies in Zukunft verhindern kann.

Was ist das Hybris Syndrom?

Der US amerikanische Philosoph Bertrand Russell beschrieb bereits in den 40er Jahren den „Rausch der Macht" als eine bestimmte Art von Wahnsinn, der durch Machtpositionen verursacht wird. Später wurde dieses Phänomen mit dem Begriff „Hybris“ subsumiert, das etymologisch vom altgriechischen Wort  ὕβρις hýbris  entstammt, was soviel wie Anmaßung, Hochmut und Selbstüberschätzung bedeutet.  Im Gegensatz zur dunklen Triade von Narzissmus, Psychopathie und Machiavelli ist Hybris nicht in einem angelegt, sondern entsteht erst durch die Ausübung von Macht, welche die Persönlichkeit verändert. Metaphorisch gesehen wirken bestimmte  Rahmenbedingungen wie „Bad Barrels“ – „schlechte Fässer“, in denen alle Äpfel, selbst die moralisch besten, verderben.

Hybris im Leadership

Das Hybris-Syndrom wurde in die Leadership Diskussion vor allem vom Ex-Politiker David Owen und dem Psychiater Jonathan Davidson eingeführt. Sie beschreiben, wie Macht zu extremen Stolz, übermäßigem Selbstvertrauen und völliger Verachtung für andere Menschen führen kann. Die weiteren Eigenschaften des Hybris-Syndrom sind der Verlust des Kontakts mit der Realität, das Sprechen als „Messias“, impulsive Handlungen oder Inkompetenz.

Wie entsteht Hybris im Leadership?

In der Literatur wurde von Eugene Sadler-Smith der Begriff des „Hubristic Leadership“ geprägt und beschrieben, welche Einflussfaktoren Hybris begünstigen.

Hybris entsteht demnach nie im luftleeren Raum, ist systemisch von verschiedenen Parametern bestimmt, die sich wechselseitig beeinflussen. In diesem Zusammenhang kann man sich ein Triangle vorstellen, mit 3 Eckpfeilern:

-       Destruktive Führungskraft: personalisierter Einsatz von Macht, übermäßiges Selbstvertrauen und Ehrgeiz, Rücksichtslosigkeit und Verachtung gegenüber andere, Anmaßung, Hochmut und Selbstüberschätzung.

-       Anfällige Gefolgsleute:  Jasager und Anbiederer, Konformisten,  Karrieristen, bis hin aktive Kollaborateure oder Profiteure.

-       Politische und soziale Umfeld: Instabilität des Umfelds, wahrgenommene externe Bedrohungen, Fehlen von Kontrollen, kein Korrektiv, Widerspruch wird eliminiert.

Ludwig und Longenecker (1993, S. 267, übersetzt) haben sich mit diesen Phänomenen beschäftigt und geben wie folgt Einblick in das Denken eines Hybris-Betroffenen:

„In dem Moment, in dem sie scheinbar ‚alles haben‘, werfen sie alles weg, indem sie sich auf eine Handlung einlassen, die falsch ist, von der sie wissen, dass sie falsch ist, von der sie wissen, dass sie zu ihrem Untergang führen würde. Sie glauben aber fälschlicherweise, dass sie die Macht haben, diese zu verbergen.“

Leadership Beispiele

Auf der Weltbühne sorgen in den letzten Jahren vor allem Donald Trump und gerade jetzt Wladimir Putin zahlreiche Hinweise für dieses Syndrom. Auch wenn nicht einmal der berühmte österreichische Psychoanalytiker und Narzissmusexperte Otto F. Kernberg Ferndiagnosen stellt, können und wollen wir das auch nicht. Aber wir sehen diese Phänomen an vielen Stellen, vor allem die katastrophalen Auswirkungen an Hand des Urkaine Krieges und was passieren kann, wenn jemand zu viel Macht hat und damit nicht umgehen kann.

Aber wir müssen nicht soweit blicken, es reicht unsere Innenpolitik, von Karl-Heinz Grasser, Sebastian Kurz bis Sophie Karmasin, alles einst gefeierte „Polit Celebrities“, dann von großer Flughöhe abgestürzt.

Wie kann Hybris im Leadership verhindert werden?

Ein Staatssklave soll (die Historizität des Spruches ist umstritten) beim römischen Triumph, einem ritualisierten, nur selten gewährten Einzug in die Stadt Rom, den erfolgreichen Feldherren ununterbrochen  undgemahnt haben: „Respice post te, hominem te esse memento“ (sieh dich um; bedenke, auch du bist nur ein Mensch; ursprünglich nur: „Recipe!“. Die persönliche Ebene ist die eine Möglichkeit, die andere besteht aus strukturellen und organisatorischen Maßnahmen.

·      Persönliche Ebene:

In Teilen der Literatur (Hayward/Rindova/Pollock, 2004) gibt es oft die Aufforderung an CEO‘s , ihrer eigenen Presse nicht zu glauben, um ihre Realitätsbezüge nicht zu verlieren. Und auch Ludwig/Longenecker gehen davon aus, dass vor allem „ein ausgeglichenes Leben die Wahrscheinlichkeit verringert, dass die Negativität des Erfolgs dazu führt, den Bezug zur Realität zu verlieren.“

Derlei „Lösungsansätze“ vergessen, dass Gewohnheiten so gut wie das Letzte sind, was wir ändern wollen. Persönliche Entwicklung und Reifung ist ein langer Weg, der Geduld, Vertrauen und Einsicht braucht. Vor allem Offenheit und die Fähigkeit, sich auf einen Prozess einzulassen, der auch schmerzhaft sein kann. Und viele zu süß schmeckt die Macht, zu groß die Verlockung Kontrolle auszuüben über andere Menschen, sein Ego aufzublasen und sich wichtig machen.

·      Strukturelle Ebene:

Nachdem diese Phänomene nicht von alleine entstehen, sondern sich aus Systemen heraus entfalten und sich Kultur und Struktur gegenseitig beeinflussen, ist letzteres von Interesse. Eine Abkehr einer “Profit at all costs” Kultur oder ein Rückbau der viel zu oft mit toxischen Wirkungen einhergehenden “Pay for Performance” Strukturen wären ein möglicher Schritte. Transparenz bei Postenbesetzungen, Auftragsvergaben oder die Einführung von Kontrollmechanismen werden vor allem in Österreich schon seit Jahren gebetsmühlenartig gefordert, doch ohne Erfolg. Parteien oder Systemerhalter blockieren und schirmen ab, um alte Seilschaften und Machterhalt zu sichern, Verhaberungen und Anbiedertum prägen gerade in Österreich den Alltag.

Rund um den schon erwähnten David Owen, der als ehemaliger Außenministers von Großbritanien selber vom Hybris Syndrom betroffen war, wurde die sogenannte Daedalus Trust mit dem Ziel gegründet, Hybris im Frühstadium zu erkennen und zu verhindern. Es wurde sogar ein eigenes Anti Hubris Toolkit geschaffen, um Hybris rechtzeitig zu erkennen, auf alle Fälle lohnt sich ein Blick auf diese Initiativen, die man auch in anderen Ländern übernehmen könnte.

Ausblick

Putin entfernt Kritiker, holt sich Jasager, baut Bedrohungsszenarien auf und verhindert jegliche Kontrolle oder Korrektive. Gerichte werden gleichgeschaltet, freie Meinungsäußerung mit Füßen getreten und Medien unterdrückt - alles Hinweise des “Hubristic Triangle", wie oben beschrieben.

Wir müssen Signale und Hinweise nicht nur ernst nehmen, sondern gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, damit Hybris nicht wachsen kann. Es gehört verboten, mit Diktatoren und Mördern, auch wenn sie Staatsoberhäupter sind, Geschäfte zu machen.

Noch viel zu selten fragen wir oft woher das Geld stammt, viel zu gierig werden Oligarchen mit einem Koffer voller Geld hofiert. Nicht nur das, wir sabotieren gerade in Österreich das wirtschaftliche Sanktionen, halbherzig werden Konten eingefroren, niemand will es sich mit mächtigen Oligarchen verscherzen.

So geht es nicht, Geld ist nicht nur eine Werteinheit sondern hat auch moralische Standards, es ist nicht egal mit was und mit wem ich mein Geld verdiene. Solange dies nicht in unserem kapitalistischen System Eingang findet, wird sich auch nichts ändern.

Ich bin auch davon überzeugt, dass vor allem junge Menschen anders denken und handeln. Menschen wollen ihren eigenen Weg gehen, den der Eigenverantwortung und Entfaltung ihrer Potentiale. Junge Menschen wollen Leistung, Ehrlichkeit und Authentizität in den Mittelpunkt stellen, das erfahren gerade viele Personalentwickler in Unternehmen. Dienstautos zählen nicht mehr, ebensowenig Abhängigkeiten von Seilschaften, wo es immer nur im Gegengeschäfte oder ähnliches geht. Lebensfreude, Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum, das ist was wir stärken müssen, was junge Menschen einfordern.

Vor allem wird sich der Arbeitsmarkt selber regulieren. Denn Unternehmen werden keine Mitarbeiter mehr finden, da niemand mehr Despoten als Chefs haben will. Und Organisationen werden sich dies nicht mehr leisten können, denn die organisatorischen Kosten der Mitarbeiterfluktuation sind schwindelerregend.

Ich bin davon überzeugt, dass wir alle etwas besseres verdient haben. Arbeit, Gesellschaft und Wirtschaft sind Orte der Potentialentfaltung und Freude, nicht ein Platz wo Menschen Schaden nehmen müssen, weil Hybris ungehindert wachsen kann.

Dafür müssen wir aber etwas tun, nämlich Verantwortung tragen, an wen wir uns anbiedern und damit stärken, wen wir zur Führungskraft machen oder welche Politiker wir wählen, wie wir in der Welt sind und wen wir unterstützen. Jeder trägt dafür die Verantwortung, die wir genau jetzt übernehmen müssen, wollen wir nicht wieder großen Schaden erleben.

Autore: Werner Sattlegger, Founders Art of Life

Lesetipps:

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Veranstaltung:

Buchlesung: “Praxis reifer Führung”, Donnerstag, 21. April, 2022

Jahresgruppe “Art of Getting Unstuck”, Beginn Mai 14. Mai

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Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.