Tech Lay Off

Eine gewaltige Entlassungwelle (“lay offs” genannt) schwappt gerade über das Silicon Valley, die es in dieser Form die letzten Jahre nicht gegeben hat, Techgiganten wie Google oder Amazon entlassen zigtausende MitarbeiterInnen. Was der Hintergrund dafür und die Auswirkungen davon sind, was Unternehmer und MitarbeiterInnen daraus lernen können, darum geht es in diesem Beitrag.

Bad Leadership

Weder die Finanzkrise 2008 noch die Corona Pandemie 2020 konnten den Aufstieg der Techgiganten im Silicon Valley stoppen. Im Gegenteil, gerade nach der Pandemie nahmen digitale Märkte dramatisch zu, egal ob Videokonferenzen oder neue Lernplattformen, Digitalisierung boomte.

Ebensowenig kostete Geld nichts, Start Ups waren tolle Möglichkeiten für Investments, Einhörner sind aus dem Boden geschossen. Grenzenloses Wachstum war die Devise, was vor allem beim Recruting von MitarbeiterInnen der Fall war:

  • So erhöhte der Facebook-Konzern Meta zwischen den Geschäftsjahren 2019 und 2022 sein Personal um fast 100 Prozent, bei Google lag der Anstieg bei rund 60 Prozent, bei Microsoft waren es rund 50 Prozent. Bei Amazon war es nicht unähnlich, da hat sich das Personal in den letzten 3 Jahren verdoppelt.

  • Alleine Apple hatte seine Belegschaft nur um rund 20 Prozent auf 164.000 Vollzeitstellen gesteigert, daher ist auch der Schluss zulässig, dass dies der Grund ist, warum Apple als einziger Techgigant noch keine Entlassungen ausgesprochen hat.

Eine “winner takes it all” Mentalität entwickelte sich ungünstig, man hat MitarbeiterInnen oft auf Verdacht eingestellt, obwohl oft kein direkter Bedarf da war. Entweder aus Angst keine MitarbeiterInnen zu bekommen oder den großen nächsten Technologiesprung zu versäumen. Einige der CEO’s (z.B. P. Collison von Stripe) der betroffenen Unternehmen haben auch offen eingestanden, diese Fehler zu begangen haben.

Auswirkungen

Die Millennials und die Generation Z, die zwischen 1981 und 2012 geboren wurden, begannen ihre Karriere im Technologiesektor während eines Jahrzehnts der Expansion, in dem sich die Zahl der Arbeitsplätze so schnell vervielfachte wie der Absatz von iPhones. Ihre Arbeitgeber eroberten und boten ihnen alles, von Busfahrten zum Büro und Annehmlichkeiten wie kostenloses Essen und Wäschewaschen.

Es überrascht nicht, dass gerade diese Generation von diesen Entlassungen psychisch besonders betroffen ist, denn im Gegensatz zu den Babyboomern kannten sie nur eines: Wachstum! Aber so ist das Leben nicht, nichts wächst unendlich, es gibt natürliche Grenzen des Wachstums.

Bei solchen Entlassungswellen treten Flurschäden nicht nur bei Betroffenen, sondern auch auch bei KollegInnen ein, die zurückbleiben:

  • Manche leiden unter einer Art Überlebensschuld und fragen sich, warum sie ihren Job behalten haben und ihre Kollegen nicht.

  • Andere müssen sich mit den praktischen Aspekten der Ersetzung der ausgeschiedenen Mitarbeiter und mit dem Stress der erhöhten Arbeitsplatzunsicherheit auseinandersetzen: Wenn die Axt schon einmal gefallen ist, kann sie es wieder tun.

Vor allem der Imageschaden ist enorm, wenn der Aufschwung kommt, muss man wieder einstellen und wird auf Grund des Vertrauensverlustes wird man nicht sehr leicht MitarbeiterInnen finden.

Wie es auch anders geht

Viele aktuell entlassene MitarbeiterInnen scheinen durchaus großzügige “Packages” zu bekommen haben, die den Einsparungsgrund der Entlassungen konterkarieren, weil eigentlich nichts eingespart werde, wenn man den Produktivitätsverlust einberechnet.

Viele behaupten auch, dass der Grund in einer Art social contagion(sozialer Ansteckung) liege und Unternehmen nur deshalb entlassen, weil es andere Unternehmen auch tun.

Wie es praktisch auch anders gehen kann, sieht man am Beispiel von Lincoln Electric, ein Hersteller von Lichtbogenschweißgeräten: anstelle einer Entlassung von 10 % seiner Belegschaft hat man eine Lohnkürzung von 10 % verhandelt, mit Ausnahme des oberen Managements, das eine größere Kürzung akzeptierte.

Denn eines ist auch klar, der nächste Aufschwung wird früher kommen als wir denken, dann werden Unternehmen den Preis für die Fehler zahlen, die sie jetzt machen. Denn der Arbeitskräftemangel wird nicht kleiner, gleichzeitig wird es immer schwieriger gute Leute zu finden, jeder weiss das. Beim nächsten Aufschwung werden sich dann die Menschen noch sehr gut erinnern, wie Unternehmen mit Menschen bei Entlassungen umgegangen sind.

Art of ending

Während unserer letzten Lernreise im Silicon Valley im Herbst 2022 habe ich folgendes erlebt:

  • In der Früh kommt die Meldung über die Medien, dass ein bestimmtes Unternehmen in San Francisco 10 % der MitarbeiterInnen entlassen wird. Ich persönlich hatte am gleichen Tag noch am Vormittag einen Termin mit einem langgedienten Manager des besagten Unternehmens, der mir bei diesem Treffen noch von der schlechten Stimmung auf Grund der aktuellen Meldung der anstehenden Entlassungen erzählte. Eine Stunde später bekam er via Mail einen Kalendereintrag für einen Zoomcall für 13.00 Uhr mit dem Betreff “Personal”. In diesem Call wurden ihm von einem Anwalt seine Recht vorgelesen und mitgeteilt, dass er mit sofortiger Wirkung entlassen sei Er wurde von der Security in sein Büro begleitet, damit er noch seine persönliche Sachen holen darf, sein Mailaccount war schon gesperrt.

Mich hat dieses Erlebnis geschockt, noch am gleichen Abend verabschiedete sich dieser Manager via Linked In. Nach ein paar Wochen traf ich ihn und er teilte mir mit, dass dies so üblich sei und es ihm nicht viel ausmache, jeder wisse es hier.

  • Dabei muss man aber auch eines wissen: jeder der dort arbeitet kennt diese Mechanismen, obwohl man es nicht so recht glauben mag, wenn man es noch nicht erlebt hat. Doch viele denken dort gleich in neuen “opportunities”, wohin kann ich mich entwickeln, wo ist die nächste Möglichkeit, alles ist viel weniger mit Scham und Schuld besetzt.

Aber vor allem für MitarbeiterInnen der großen Techgiganten wie Google kam die Entlassungswelle völlig überraschend. Denn seit Jahren werden aus Millionen von Bewerbungen die Besten der Besten aus einem ausgeklügelten Rekruitingprozess ausgesucht, Google hofierte förmlich seine MitarbeiterInnen, bot jegliche Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten. Nun wurden auch hier die betroffenen MitarbeiterInnen per Mail davon informiert, dass sie entlassen seien.

OFFBOARDING

Wir alle lernen dauernd wie wichtig es sei, Neues zu wagen, in das Unbekannte aufzubrechen oder innovativ zu sein. Nie lernen wir aber, Dinge zu beenden oder sich in Würde und Wertschätzung zu trennen. Da sind wir ganz schlecht und offensichtlich können es auch die besten Firmen der Welt nicht besser.

Was sind nun die Learnings?

Allgemein:

  • Rechtzeitig vorsichtiges Rekruiting, nur Personal einstellen die ich brauche.

  • offene Information über die wirtschaftliche Lage, aufzeichnen möglicher alternativen Szenarien (Beispiel Lincoln Electric).

  • “Wahrheit ist dem Menschen zumutbar” keine Buzzwords, Menschen wollen ehrlich und offen informiert werden.

  • MitarbeiterInnnen einladen zum Mittun, wie z.B. Einbringen von Ideen, wo und wie gespart werden kann.

Wenn es Kündigungen/Entlassungen gibt:

  • transparente und direkte Kommunikation, die vor allem persönlich durchgeführt wird.

  • Rechtzeitige Kommunikation, keine Sprünge zwischen Zeitzonen oder Kontinenten, wo machen Abteilungen es früher wissen und manche noch Wochen warten müssen.

  • ehrliche Unterstützung bei der Neuorientierung.

  • Wertschätzung in Form eines Exitgesprächs mit folgenden Inhalten:

    • Was ist in der Zusammenarbeit gut und schlecht gelaufen?

    • Was können wir als Unternehmen von Dir lernen?

    • Wir können wir uns als Unternehmen verbessern?

    • Wie können wir Dich bei der Neuorientierung unterstützen?

  • Szenarien ausarbeiten, wie wir in Kontakt bleiben und vielleicht wieder einstellen können, beim nächsten Aufschwung.

Pathfinding

Das Leben hat derzeit viele Unsicherheiten zu bieten, die vermeintliche Komfortzone in Form eines sicheren Jobs bei einem der besten Firmen der Welt kann sich als Schleudersitz herausstellen. Und ich muss in kurzer Zeit lernen mich beruflich zu verändern, Unsicherheit aushalten oder überhaupt den Mut wagen, eine berufliche Umorientierung zu wagen. Und Neuorientierungen können bedrohlich und anstrengend sein, Ängste und Unsicherheiten sind der ständige Begleiter.

Aber es gibt auch die andere Seite, es kann einen Entwicklungsschub auslösen, der sonst nicht möglich gewesen wäre. Vor allem eignet sich diese Zeit sehr gut um herauszufinden, worum es sich für mich lohnt zu leben - genannt Ikigai - und ich darauf meine Arbeit aufbaue. Das führt zum Gefühl eines gelungen Lebens, voller Lebensfreude und Erfüllung, mehr geht nicht.

Das alles kann und kommt auf viele von uns zu, aber eines wird bei aller Unsicherheit nicht vergehen: die Notwendigkeit und Wichtigkeit wertschätzend miteinander umzugehen, auch in Phasen der Trennung oder Beendigung.

Autoren: Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Lesetipp:

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Loil Neidhöfer/Werner Sattlegger, “Wenn die Sehnsucht größer wird als die Angst”

Lernreise:

Executive Silicon Valley Learning Journey, 26.Juni - 30. Juni, 2023

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.