Die Welt im radikalen Umbruch

Der Jahreswechsel, meistens Zeit für Rückblicke und viel zu selten Zeit für eine Vorausschau. “Ich habe keine Glaskugel”, wie soll ich wissen was die Zukunft bringen wird, das hört man oft. Oder Analogien aus der Vergangenheit her zuknüpfen, um Prognosen für die Zukunft zu stellen. Das alles funktioniert nicht, denn in der Vergangenheit liegen wir oft falsch und die Zukunft kann man in der Tat nicht vorhersehen.

Was man aber machen kann ist, die Gegenwart zu beobachten um zusehen, welche Trends und Entwicklungen uns beeinflussen, wie sich unser Leben verändert und was dies für Führungskräfte bedeutet.

Wenn man das tut, dann kommt man zu erstaunlichen Ergebnissen, was unsere Wirtschaft und Arbeit betrifft.

  1. Ende des billigen Geldes

Milliardenbewertungen in Form von Unicorns, völlig überhitzte Immobilienmärkte oder Goldgräberstimmung an den Kryptobörsen, egal wo und wie, die “Musik spielte und alle tanzte”.

  • Was waren die Gründe und was können wir daraus lernen?

Die amerikanische Zentralbank leitete in den letzten Monaten ihren schnellsten Straffungszyklus seit den 1980er Jahren ein und hob das Zielband für ihren Leitzins um mehr als vier Prozentpunkte auf 4,25 bis 4,5 % an. Andere Zentralbanken folgten diesem Beispiel und die Märkte gehen davon aus, dass sie nicht wieder auf null zurückfallen werden. Die Gouverneure der US-Notenbank gehen davon aus, dass höhere Zinsen gekommen sind, um zu bleiben. So soll der Leitzins 2023 bei über 5 % liegen wird, bevor er sich längerfristig auf etwa 2,5 % einpendelt.

  • Vermögensvernichtung im breiten Stil

Investitionen in Aktien oder Kryptowährungen sind in den letzten Jahren populär geworden, versprachen sie doch hohe Renditen, die bei klassischen Sparbüchern auf Grund der niedrigen Zinsen nicht zu holen waren. Doch steigende Zinsen ließen Aktienkurse einbrechen und vernichteten Vermögen. So fiel zum Beispiel der S&P 500 Mitte Oktober um ein Viertel auf seinen Jahrestiefststand, der weltweite Aktienindex des MSCI ist um 20 % gefallen. Die fünf Tech-Giganten im Silicon Valley haben im letzten Jahr zusammen schwindelerregende 3 Billionen Dollar an Marktwert verloren.

Die gleiche Entwicklung sehen wir am Immobilienmarkt, so brach z.B. das Transaktionsvolumen des deutschen Wohnimmobilienmarkts im Gesamtjahr 2022 gegenüber 2021 sogar um 74 Prozent ein.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Das Produkt “Geld” wurde teurer, weniger leicht zugänglich und in den nächsten Jahren werden die Haushalte doppelt belastet: höhere Energierechnungen und höhere Hypothekenzahlungen, da die Zinsen zur Bekämpfung der Inflation hoch bleiben. Dadurch wird der Konsum und Kaufkraft vieler Haushalte zurückgehen, was wiederum die Nachfrage vieler Produkte betrifft.

Geld wird teurer, “Cash ist wieder King” und Wachstum ist nicht mehr das Maß aller Dinge. Was zählt sind nachhaltige Wertschöpfung und Problemlösung, Kostenwahrheit und Effizienz. “Geld arbeitet lassen” funktioniert nicht und Luftschlösser alleine reichen nicht, was zählt sind Pragmatismus und Realismus.

2. Technologieschub Künstliche Intelligenz

Bei unseren Silicon Valley Lernreisen im letzten Jahr haben wir folgendes gelernt: viele Unternehmen Vorort kürzen und sparen, fast 150.000 MitarbeiterInnen wurden dort im letzten Jahr gekündigt.

Doch zur gleichen Zeit haben sich die Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz derart beschleunigt, dass in Unternehmen kein Stein auf dem anderen bleiben wird. So wird dieser Markt auf einen Wert von 500 Milliarden Dollar anschwellen, schätzt das Forschungsunternehmen idc. Eine Studie des McKinsey Global Institute kommt zum Ergebnis kommt, dass bis zum Jahr 2030 ein weltweiter jährlicher Wachstumsschub für das Bruttoinlandsprodukt in der Höhe von durchschnittlich 1,2 Prozentpunkten von den Entwicklungen auf dem Gebiet der KI stattfinden wird.

Ebenso sind Daten der zukünftige Rohstoff, alle Produktionsbetriebe oder sonstige Unternehmen sitzen auf einer Fülle von ungenutzten Daten, die für neue Geschäftsmodelle genutzt werden können. Durch diesen wachsenden Datenbedarf wird auch der Markt für Cloud Computing auf 600 Millarden Euro anwachsen.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Künstliche Intelligenz wird nicht nur die Wertschöpfung von Arbeit verschieben, sondern ermöglicht noch ungeahnte Möglichkeiten für völlig neue Geschäftsmodelle. Vor allem mittelständische Industriebetriebe könnten den Arbeitskräftemangel dank KI ausgleichen, höheren Output, effizientere Abläufe und geringere Fehlerquote durch KI sicherstellen. Wenn sich Führungskräfte nicht mit diesen Möglichkeiten auseinandersetzen, vor allem nicht mit den Daten ihres Unternehmens, dann bleiben sie nicht wettbewerbsfähig. Was genau zu tun ist, haben wir in einem Playbook zusammengefasst und können sie gerne hier bestellen.

3. Quantensprung ChatGPT - Transformation von Arbeit

In den letzten Novembertagen 2022 hat im Silicon Valley eine Revolution stattgefunden, die das Prädikat “Quantensprung” verdient. Das kalifornische Start Up Open Ai mit CEO Sam Altman hat mit Chatbot ChatGPT ein Sprachmodell entwickelt und gelauncht, innerhalb weniger Tage haben sich 1 Millionen Subscriber angemeldet. Das Tool kann codieren, Blogs oder anspruchsvolle Mails schreiben. Wer eine klare Roadmap für ein kommendes Projekt wie etwa eine Marketingkampagne braucht, kann mit ChatGPT genau das erreichen.

Die Technologiemesse CES in Las Vegas war eine Leistungsschau für die neuesten Errungenschaften im Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), wie zum Beispiel:

  • Und das Start-up Donotpay lässt in den USA erstmals einen Gerichtsfall von einer auf KI basierenden Anwaltssoftware ausfechten.

Egal in welchen Bereichen sonst, sei es in der medizinischen Diagnose, in Call Centers oder im Management, Künstliche Intelligenz wird viele Tätigkeiten ersetzen können, einfach weil es fehlerfreier, schneller und besser ist.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Immer mehr hochqualifizierte Tätigkeiten werden in Zukunft von KI ersetzt werden, bis hin zur eigenen Managementaufgabe wie kontrollieren oder evaluieren. Was nicht ersetzt werden kann, sind Führungsaufgaben wie Konflikte lösen, zuhören, Potentiale der MitarbeiterInnen zu entfalten oder Visionen zu entwickeln. Das sind zutiefst menschliche Fähigkeiten, die Führungskräfte nun entwickeln müssen.

4. Produktivität anstelle von bürokratischen Ineffizienzen

Billiges Geld und boomenden Märkte haben Überheblichkeit und Ignoranz gefördert. Oft ging es nur im Wachstum, Größe und neue Märkte. Zu wenig wurden Geschäftsmodelle hinterfragt, auf Profitabilität oder Effizienz wurde “vergessen” und Produktivität sträflich vernachlässigt.

Vor allem die Produktivität, der Output pro Arbeitsstunde, wuchs in den 2010er Jahren nur noch halb so schnell wie im Jahrzehnt zuvor. Wir waren insgesamt schlechter darin geworden, neue Ideen zu finden, sie in Innovationen umzusetzen und diese in neue Produkte zu verbreiten. Robert Gordons 2016 veröffentlichtes Buch "The Rise and Fall of American Growth" (Aufstieg und Fall des amerikanischen Wachstums) argumentiert genau damit, dass wir trotz neuester Technologien nicht produktiver geworden sind.

Unternehmen haben im letzten Jahr zwar investiert, vor allem Vorräte an Rohstoffen, Halbfertig- und Fertigwaren angelegt, um sich vor Engpässen in der Lieferkette zu schützen. Dies wird in der Statistik als Investition verbucht, trägt aber nicht zur Produktivität bei.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Es bedeutet das Ende von bürokratischen, langwierigen und ineffizienten Prozessen, die nur mehr deshalb stattfinden, weil sie immer schon stattgefunden haben. Es bedeutet das Ende von Wichtigtuerei und Geschäftigkeit in Organisationen, wenn keine Produktivität und Mehrwert stattfindet. “Nullleister” und Abgreifer” werden wir uns nicht mehr durchtragen können und die Frage zu Recht bestehen: was war Deine Leistung? Was in Zukunft zählt ist Problemlösung, Mehrwert, Leistung und Output, davon bin ich überzeugt.

5. Grenzen des Wachstums

Viele Techfirmen hatten als einziges Geschäftsmodell die Werbung, was sich nun als sehr riskant und einseitig herausstellt. Weiters wurden viele Unternehmen und Start Ups auf Grund des billigen Geldes und Investitionsbooms völlig überbewertet, eine falschverstandene Wachstumsstrategie mündete in eine völlig überzogenem Rekruiting, was sich nun rächt. Unicornstatus alleine garantiert noch kein profitables Geschäftsmodell, Moonshots mögen die Welt verändern, aber können auch zu Maßlosigkeit führen.

Gleichzeitig wird das Bewusstsein in unserer Gesellschaft weg von einer reinen Wachstums und Konsumgesellschaft, die verschwenderisch mit den Ressourcen umgeht, hin zu einem umweltbewussten Verbrauchertum und nachhaltigen Wirtschaft immer größer, als Neo-Ökologie bekannt.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Da Wachstum seine Grenzen hat, müssen wir uns auf ein progressives Postwachstumsparadigma einstellen. Dies wird in allen Bereichen im Unternehmen sichtbar, sei es Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen, ESG Regularien oder grünen Investemtfonds. Erneubare Energien, Ressourcenschonung oder CO2 Ausstoß sind nicht mehr “nice to have”, sondern existentiell. MitarbeiterInnen werden nicht mehr eine Ressource sein, sondern im Zentrum des organisatorischen Tuns sein.

Einfach vor allem auch darum, weil der Mitarbeiter es sich in Zukunft aussuchen wird können, wohin er geht und sich nicht mehr alles gefallen lassen muss.

5. Demografischer Wandel

In Österreich und Deutschland braucht man heute z.B. im Schnitt 8 Monate um eine Pflegekraft oder etwa 7 Monate um einen Klimatechniker zu finden. Aber es kommt noch bitterer, denn bis 2035 werden weitere 7 Millionen Menschen weniger am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, weil immer mehr Babyboomer in Pension gehen werden. Die damit verbundene Sprengkraft liegt im sog. Potenzialwachstum, der auf Grund des Personalmangels von bisher 1,4 % jährlich auf 0,5 % sinken wird.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Führungskräfte und Unternehmen müssen sich nun bei BewerberInnenn anstellen, müssen oft von Ihrem hohen Ross herunter und sich um die Menschen bemühen. Sie müssen sich anstrengen, nicht nur mit flotten Sprüchen werben, sondern eine reife und echte Unternehmenskultur bieten, wo MitarbeiterInnen ihre Potenziale entfalten können. Das ist was vor allem die Generation Z von Unternehmen wollen, sie wollen Wertschätzung, Sinn und die Möglichkeit, ihre eigenen Potenziale zu entfalten.

6. Reife Unternehmenskulturen

Millionen von Mitarbeiterinnen haben in den letzten beiden Jahren weltweit ihre Jobs verlassen, alleine seit April 2021 waren es in den USA mehr als 19 Millionen. „The great resignation“ oder “Silent Quit” bedeutet, dass Menschen ihre Jobs verlassen, weil sie keine  Wertschätzung und Sinn erfahren.

In Organisationen verkommt der Begriff Wertschätzung oft zu einem buzzword,„unsere Mitarbeiterinnen sind das höchste Gut“, das steht fast auf jedem Leitbild, wird aber im Alltag oft mit Füßen getreten wird.

Unternehmenskultur ist kein Leitbild, Wertekanon oder Marketingfolie, sondern es ist die Summe aller Handlungen in einem Unternehmen.

  • Wie gehen wir miteinander um?

  • Was ist uns wichtig?

  • Was prägt unsere Kommunikation?

  • Wie leben wir Wertschätzung?

Eine reife Unternehmenskultur ist nicht nur auf Macht und Hierarchie aufgebaut, sondern stellt die Menschen und die Wertschätzung für diese in den Mittelpunkt. Nicht als Werbegag auf einer Hochglanzfolie, sondern sichtbar im täglichen Tun und Handeln. Die Säulen dafür sind Eigenverantwortung, Selbstregulation, Potenzialentfaltung und Ergebnisorientierung. Diese Form der Unternehmenskultur kann nicht an Berater delegiert werden oder vom Management aufgezwungen werden.

Sondern es ist eine Kunst, die entwickelt werden kann und aus dem täglichen Miteinander und Beziehungen entstehen kann. Dies zu entwickeln erfordert Geduld und Vertrauen, am Ende führt dies zu einer Organisation, wo Freude erfahrbar wird

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Um diese zu entwickeln, dafür braucht es einen langen Atem, Vertrauen, Geduld und das Wissen, dass Führungskräfte Vorbilder sind, ob sie wollen oder nicht. Das erfordert ein reifes Führungsverhalten, ein echtes Interesse an Beziehungen und Menschen.

Führungskräfte können sich nicht mehr nur auf Macht und Status verlassen, sondern sind als Menschen gefordert. Sie müssen Beziehungsangebote bieten, basierend auf einer persönlichen Reife.

7. Reife Führung auf Basis von Vertrauen und Wertschätzung

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind der Treibstoff für das täglich Miteinander, dies ist mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht. Dieses Vertrauen wurde in den letzten Jahren in vielen Leadershipfunktionen erschüttert, oft wurde und wir nicht gehalten was angekündigt wird. Führungskräfte leben oft nicht Wertschätzung oder schaffen keine Räume für Sinn und Potenzialentfaltung.

  • Was bedeutet das für Führungskräfte?

Führungskräfte müssen Sinn und Wertschätzung leben, nicht als Managementtrick, sondern aus ihrer persönlichen Tiefe und Reife heraus. Dazu gehören zum Beispiel die Fähigkeit zuzuhören, ohne gleich zu bewerten oder zu interpretieren. Die Fähigkeit als Mensch präsent sein, Glaubwürdigkeit zu leben und einen Raum zu schaffen, wo Vertrauen entstehen kann.

Ein Raum ohne Beschämung und Bestrafung, sondern der Möglichkeit aus Fehlern zu lernen und sich dadurch weiterzuentwickeln.

Ebenso können Führungskräfte ihrer eigenen Sinnfrage nicht aus dem Weg gehen, sondern müssen sich dieser stellen, wollen sie gegenüber den MitarbeiterInnen authentisch bleiben.

Ausblick

Bei unseren Lernreisen in die Zukunft sehen wir, wie sich die Arbeitswelt grundlegend verändert, vieles ist noch Kindergeburtstag zu dem, was noch alles auf uns zukommt. Sei es technologischer Wandel, neue Formen der Mitarbeiterbeziehung oder weitere Unsicherheiten, egal was, Führungskräfte sind gefordert.

Aber ich stimme nicht dem Chor der Pessimisten überein, die schon alle Rezepte einer Rezession kennen. Gerade Krisenzeiten sind Zeiten vieler Möglichkeiten, Zeiten voller Chancen, die wir aber nur dann nützen können, wenn wir Verantwortung übernehmen und nun die richtigen Weichen .

Und zwar jeder von uns und wir sollten nicht zu lange darauf warten.

Autor: Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Tips: Executive Silicon Valley Learning Journey, 26. Juni - 30. Juni, 2023

Lesetipps:

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.