Silicon Valley Learnings

Nachdem im November letzten Jahres mit der Einführung von ChatGPT Künstliche Intelligenz nun auch wirklich für alle greifbar geworden ist, waren wir voller Neugier, was wir diesmal bei unserer Silicon Valley Lernreise lernen würden, die im Juni 2023 stattfand.

Schon in den vorbereitenden Masterclasses in Österreich war klar, die Energie und Vorfreude in der Teilnehmergruppe ist hoch, ebenso die Neugier und der Lernhunger. Alleine der Erfahrungsaustausch untereinander war großartig, der sich dann Vorort im Silicon Valley noch steigerte und mündete am Ende der Woche in einer der Haupterkenntnisse: MitarbeiterInnen dort sind nicht intelligenter oder “besser”, sondern arbeiten teilweise einfach anders, vor allem mit viel mehr Mut, Risikobereitschaft, sind hungrig and bleiben drann. Für uns scheint es verrückt, denn rasches scheitern ist erwünscht um rasch zu lernen. Im Alltag sichtbar im raschen Erstellen von Prototypen, einem eigenverantwortlichen und ergebnisorientierten Arbeiten, sowie dem raschen Betreten von unbekanntem Terrain. Darüberhinaus steht Arbeit immer auf Basis eines “Warums”, welches Problem löse ich für welchen Kunden. Aber das Wichtigste bleibt, der Hunger etwas verändern oder bewegen zu wollen, die Verrücktheit, das zu tun was man bisher noch nicht getan hat. Vor allem die explosive Mischung aus Startkapital und super smarten Menschen, die mutig bereit sind in das Unbekannte aufzubrechen.

Wie das ganz konkret im Arbeitsalltag im Silicon Valley aussieht und was wir davon lernen können, darum geht es in diesem Beitrag.

Produktentwicklung

  • “Schauen wir einmal, dann machen wir einmal” - so oder ähnlich wird bei uns oft an Vorhaben herangegangen. Lähmenden Arbeitsgruppen oder Projektteams planen und skizzieren, glauben zu wissen was der Kunde will, ohne jemals nachzufragen. Dann wird entwickelt und gebaut, irgendwann kommt das perfekte Produkt auf den Markt, oft mit dem Risiko, dass dies der Kunde nicht will.

  • Ich hole im Silicon Valley ständig Feedback ein, um mögliche Hypothesen sofort zu überprüfen. Das kann in temporären Webauftritten sein, der Platzierung von Angeboten oder direkten Rückfragen sein.

  • Statt einer vollständigen (100%) Umsetzung wird im Silicon Valley 80% der Lösung umgesetzt und schnell zum Kunden gebracht, um zusätzliches Feedback zu erhalten und Ressourcen zu sparen. Mut zur Lücke und Abgehen von Perfektion und Fokus auf die Frage "Ist das Problem groß genug?". Und man hat auch weniger Angst vor Konkurrenz oder Kopien, denn es zählt die ständige Weiterentwicklung.

 Leadership

“Start with a Why”

  • “Distilling into why” bedeutet immer zu fragen, warum mache ich das was ich tue, welches Problem löse ich für welche genau definierte Kundengruppe? Welchen Beitrag leistet jeder Mitarbeiter und jedes Team für dieses Ergebnis ? Dies sind nicht nur metaphysische Fragen, sondern werden ganz genau täglichen Tun gemessen. Daher bleibt weniger Raum für Wichtigtuerei, politische Spiele oder “so tun als ob”.

  • Das Reporting ist dort überall standardisiert, im Gegenzug dazu ist die Teamorganisation individuell. Menschen und Teams kennen das Warum, sind dadurch intrinsisch motiviert. Sie sind hungrig und beißen, bei uns würde man sagen sie kennen und leben ihren Sinn in der Arbeit, was gerade in der Innovation unglaubliche Kräfte freisetzt. Denn es braucht diesen Mut für das Unbekannte, dorthin wagt man sich aber nur, wenn man sein Warum kennt.

    “Founding team is the most important thing“

  • Der Mensch steht im Mittelpunkt, das ist wohl das Management Buzzword des Jahrzehnts. Es wird aber oft mit Füßen getreten, denn nicht zu selten wird das Gegenteil davon gelebt. Was wir aber in den Gesprächen mit Investoren Vorort herausgefunden haben ist, dass Investitionsentscheidungen letztlich menschliche Fragen sind.

  • Die Zahlen und Daten müssen stimmen, aber traue ich als Investor dem Gründungsteam zu, dass sie das Business hochziehen? Sind es Persönlichkeiten, die mit Widerstand und schwierigen Zeiten umgehen können? Founders, die auch Ihre MitarbeiterInnen begeistern können, die an die Sache glauben, die drann und hungrig bleiben. Die auch bereit sind sich einzusetzen und weit über den Tellerrand hinaussehen können, das auch mit verrückten Dingen tun, indem sie einfach mutig Dinge ausprobieren.

    Eigenverantwortung und Ergebnisorientierung

  • Nachdem jeder Mitarbeiter und jedes Team sehr eigenverantwortlich arbeitet und in klar strukturierten Reportings auch klar ist, wie und welche Leistungen gemessen wird, hat die Führungskraft eine völlig ander Aufgabe. Die Führungskraft mischt sich nicht dauernd ein, sagt auch nicht via Mikromanagement was und wie zu tun ist. Die Führungskraft ist eher eine Art Mentor und Coach, ein hochrangiger VP eines Techkonzerns hat es auf den Punkt gebracht: “ich fühle mich wie in der Rolle eines Cheerleaders”.

  • Dies findet man nicht nur in Start Ups, sondern auch in Organisationen, die gewachsen sind und damit schon eine größere Struktur haben. Dort gibt es dann eine Fülle von eigenständigen Teams, die in einem losen Verbund zusammen arbeiten und an den OKR’s gemessen werden Und wenn die Leistung nicht in Ordnung ist, dann gibt es den sogenannte “PIP - Performance Improvement Plan”. In einem Gespräch zwischen Mitarbeiter und Führungskraft muss der Mitarbeiter vorschlagen, welche Parameter als Leistungsverbesserung er sich vornimmt und vereinbart dies mit der Führungskraft. Wenn diese nach einem gewissen Zeitraum nicht eingehalten werden, kündigt sich der Mitarbeiter quasi selbst.

    Kommunikation

In Österreich gibt es, wenn es gut läuft, einmal im Jahr ein Mitarbeitergespräch, sonst gehen die persönlichen und wichtigen Gespräche mit der Führungskraft sehr oft im Alltag unter. Im Silicon Valley sind die Kommunikationsstrukturen im Gegenzug sehr stark strukturiert, vor allem finden diese sehr regelmäßig statt:

  • “One To One Meetings”: jede Woche ein Gespräch zwischen MA und Führungskraft in der Dauer einer halben Stunde.

  • “All Hands Meeting”: einmal im Monat oder sogar alle 2 Wochen sogenannte “ask me everything”, wo MitarbeiterInnen den CEO alles fragen können (Dauer 2 Stunden).

  • “Daily Stand Ups”: Jeden Tag in der Früh gibt es im Stehen einen kurzen Austausch im Team ( 20 Minuten), wo jeder seinen Status Quo, Learnings und Vorhaben kommuniziert.

  •  “Get out of the building”

  • Wenn man länger als 4 Jahre in der gleichen Funktion/Job bleibt, dann ist dies ein unmittelbares Zeichen für Stillstand und Komfortzone. “Was ist da los” hat uns ein hochrangiger Manager seine Frage erzählt, die bei solchen MitarbeiterInnen gestellt werden. Daher wechseln dort auch viele Menschen oft den Job oder die Funktion innerhalb einer Organisation. Das wird unter anderem auch durch Möglichkeiten der Rotation innerhalb einer Organisation gefördert und erwünscht. Denn es wird alles getan, um Komfortzonen zu vermeiden, Lernmöglichkeiten zu schaffen, damit sich MitarbeiterInnen entwickeln und besser werden.

Struktur und Unternehmenskultur

  “3 in a box”

  • „3 in a Box“ –Produktmanager, Designlead sowie technischer Lead formen den Kopf einer sogenannten „Product-Group“. Das darin enthaltene Wort „Product“ steht dabei nicht für das verkaufte Produkt an sich, sondern viel mehr für das „Ergebnis menschlicher Arbeit“. So werden Ziele, OKRs oder sonstige Arbeitspakte oftmals als „Product“ definiert und durch ein konstantes Team abgearbeitet. So kann sich ein highperformance Team formen, wo jeder von den Stärken und Schwächen der einzelnen Teammitglieder Bescheid weiß.

    Entscheidungen

  • Jede Entscheidung wie z.B. für eine Anpassung eines Produktes oder einer Dienstleistung ist zuerst eine Hypothese, die getestet wird und nach einem positiv verlaufenen Test wird dies anschließend in das Produkt integriert oder nicht. Der starke Datenfokus erlaubt es auch intern viel mehr Disziplin durch Transparenz durchzusetzen.

  • Man muss als Vorgesetzter keinen Druck ausüben, weil jede Person innerhalb der Organisation tagtäglich mit seinen Ergebnissen konfrontiert wird. Diese Entscheidungen finden in großer Transparenz und Nachvollziehbarkeit immer auf Basis von Daten statt. Daher gibt es viel weniger Raum für “Mauscheleien” oder sonstigen politischen Spielchen.

    “Pay it Forward”

  • Das sind alles Piraten, die wollen nur unsere Daten klauen” ist ein Satz, denn man im Zuge der Transformation zur Künstlichen Intelligenz immer wieder hört. Man will nicht mit KI Start Ups zusammenarbeiten, da man Angst hat, dass jemand etwas wegnimmt. Ähnlich ist es in Europa in der Zusammenarbeit zwischen Unis, Corporates oder anderen Institutionen, man scheut sich oft davor mit anderen zusammenzuarbeiten, da man seine Informationen oder Daten nicht hergeben will.

  • Im Silicon Valley lebt man einen radikal anderen Ansatz: “Pay It Forward” bedeutet, ich gebe zuerst, ohne gleich auf einen Return zu schielen. Ich bin vor 5 Jahren das erste Mal für eine längere Zeit im Silicon Valley gewesen und da ist mir diese Mentalität richtig entgegen “geweht”: unkompliziert und hilfsbereit, sofort ist jeder mit einem Tipp oder Kontakt parat, man bekommt innerhalb von 24 Stunden Termine auf C Level und Antworten auf Mails, wo man in Österreich Wochen wartet. Alles geht sehr schnell, ohne Hierarchien und Silent Codes, wo man immer erst abtastet, ob der andere wohl wichtig für mich ist. Alles auf Augenhöhe, Menschen denken immer gleich in Opportunitäten und Möglichkeiten, riskieren einfach mal zu geben.

Stay HUNGRY

  • Auch wenn ich schon die letzten Jahre immer wieder dort war, ist es jedes Mal auf das Neue intensiv, aufladend und bereichernd. Auch wenn sich die Erfahrungen vordergründig ähneln, immer wieder gibt es neue Schwerpunkte der Erfahrungen. Diesmal war es dieses gelebte “Why”, dieser Hunger drann zu bleiben, der vor allem in schwierigen Zeiten sichtbar wird. Im Silicon Valley sind seit Oktober fast 150 .000 Mitarbeiter gekündigt worden, die Folgen der Pandemie waren schlimm, trotzdem erlebe ich dort eine Aufbruchstimmung und einen Optimismus, der seinesgleichen sucht. Menschen suchen sich neue Möglichkeiten, dort wo es Lösungen für Probleme braucht und gehen auch dorthin wo es weh tut.

Ausblick

  • Das können wir uns in Österreich abschauen, vor allem wenn die Energie zu sehr in das Jammern und Bedauern abdriftet. Wir leben in so einem unfassbar schönen und reichem Land, mit intelligenten Menschen und einer einzigartigen Landschaft. Aber oft mit viel Kleingeistigkeit, engem und starrem Denken, wo man lieber in seiner Komfortzone bleibt, als dorthin zugehen, wo vielleicht der Schmerz wartet, aber gleichzeitig auch die Entwicklung.

  • Das alles war lange Zeit egal, aber die Zeiten ändern sich und nun geht es darum, sich zu entwickeln. Eine Reise in diese Region kann nicht nur eigene starre Muster durchbrechen, sondern ermöglicht einen völlig neuen Zugang zur Arbeit, persönlicher Entwicklung und Innovation. Bei unserer nächsten Lernreise ins Silicon Valley im Herbst 2023 werden wir sehen, was wir dann lernen werden, wir freuen uns schon riesig darauf.

Autor: Mag. Werner Sattlegger

Veranstaltungstip: nächste Lernreise in das Silicon Valley 03.-07. Juni, 2024

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.