Wie wir unseren Wohlstand verspielen

Ich bin noch zu einer Zeit mit dem Interrail Zug durch Europa gefahren, wo noch für jedes Land eine eigene Währung notwendig war. Mit Taschen voller verschiedener Geldscheine studierte ich mit dem Erasmusprogramm im EU-Ausland, das für mich ein völlig neues Tor aufgemacht hat – eine Welt der Offenheit, Toleranz und Neugier. Nun 25 Jahre rücken wir global dank Internet und Smartphone immer enger zusammen, wir können überall gefühlt gleichzeitig sein. Was für ein Segen, aber auch Fluch – denn wir stehen nun im internationalen Wettbewerb, können uns nicht länger hinter Gebirgsketten abschotten.

Das ist mir gerade in den letzten Wochen im Silicon Valley bewusst geworden, vor allem hat es mich erschreckt, wie wir gerade gegenüber den USA an Boden verlieren, darum geht es in diesem Beitrag. Der Arbeitskräftemangel und die Investitionen in F&E sind für den internationalem Wettbewerb entscheidende Parameter, daher möchte ich mir diese Kennzahlen einmal genauer ansehen und daraus meine Schlüsse ziehen.  

wie demographischer Wandel Wohlstand gefährdet

Wenn wir in Österreich über den Arbeitskräftemangel reden, dann ist mittlerweile klar, dass dies fast jede Branche betrifft, sei es Industrie, Bildung, Gastronomie oder Verwaltung. Und es ist auch allen klar, dass dies der erst der Anfang von einer Entwicklung ist, die noch viel dramatischer ist, als wir uns dies vorstellen können.

  • Meiner Meinung ist aber vielen nicht klar, dass wir mit diesem Arbeitskräftemangel im internationalen Wettbewerb stehen, denn es geht im Grunde allen Ländern weltweit ähnlich.

Aber kurz der Reihe nach. Fakt ist, dass zu wenige Kinder geboren werden. Dies wird in der sogenannten Geburtenrate oder Fertilitätsrate gemessen – also Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter. In Österreich haben wir im letzten Jahr eine Rate von 1,41, mit einer stark rückläufigen Entwicklung. Im EU-Schnitt sind es 1,5 und in vielen Ländern Afrikas über 4. Dabei muss man wissen, dass eine Rate von 2,1 notwendig ist, um die Bevölkerung ohne Wanderung langfristig auf einem konstanten Niveau zu halten.

Daher zeigt die Bevölkerungspyramide für das Jahr 2100 für Europa eine schrumpfende und alternde Gesellschaft. Der Anteil der Kinder, der jungen Menschen unter 20 Jahren und der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird zurückgehen, während der Anteil, der über 65-Jährigen zunehmen wird. Im Jahr 2100 werden die über 65-Jährigen 32 Prozent der Bevölkerung ausmachen, verglichen mit 21 Prozent im Jahr 2022.

Die Fertilitätsrate für Österreich ist mit 1,41 in den letzten Jahren zurückgegangen und ist dramatisch, da sie sogar unter dem EU-Schnitt liegt:

Richtig spannend wird es, wenn wir uns den internationalen Vergleich ansehen. Auch da liegt die USA auch vor uns, wir in Österreich liegen sogar unter dem EU-Durchschnitt und weit hinter dem weltweiten Schnitt:

WENN UNS DIE ARBEITSKRÄFTE AUSGEHEN

Das hat dramatische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, so wurde z.B. für Deutschland prognostiziert, dass bis 2030 bis zu 3 Millionen Arbeitskräfte fehlen könnten, insbesondere wenn man die Pensionierung der Babyboomer-Generation in Betracht zieht. In Österreich wurden ähnliche Tendenzen erkannt, wenn auch in kleinerem Maßstab aufgrund der geringeren Bevölkerungsgröße. (Bis 2050 werden 12 Millionen Menschen fehlen)

Aber wie schon zu Anfang beschrieben, es geht allen Ländern so – auch den USA, die werden bis zum Jahr 2030 ebenso mit einem erheblichen Arbeitskräftemangel konfrontiert sein werden. Man geht davon aus, dass ca. 17,6 Millionen Fachkräfte in Mangelberufen in den USA fehlen könnten.

  • Aber USA macht einiges anders und ist daher vor allem auf Grund der Rahmenbedingungen, der vielen Möglichkeiten und des Risikokapitals das weltweit attraktivste Einwanderungsland. Im Vergleich zu anderen Ländern gehören die USA zu den Top-Zielen für Einwanderer, andere beliebte Ziele sind Kanada und Australien.

  • Uns muss klar sein, dass wir im internationalem Wettwewerb um Arbeitskräfte stehen, in Salzburg wird schon jetzt in Kolumbien um Arbeitskräfte im Pflegebereich gebuhlt. Das ist aber der erst der Anfang, wir werden uns international bei Arbeitskräften bewerben, werden die Einwanderungen vereinfachen und deregulieren müssen. Vor allem müssen wir die Spielregeln ändern, nicht mehr die Eindwanderer werden Deutsch lernen, sondern wir werden Englisch lernen müssen

Wenn die erwerbsfähige Bevölkerung allgemein schrumpft, müssen wir mehr Menschen in Lohn und Brot bringen und/oder die Produktivität durch technologischen Fortschritt und Kompetenzen steigern.

Daher wird uns der geringe Digitalisierungsgrad in vielen Bereichen in Europa bald auf den Kopf fallen, da diese den Arbeitskräftemangel ausgleichen und die Produktivität steigern könnte. Denn wir haben ein massives Produktivitätsproblem, diese stagniert seit über einem Jahrzehnt trotz riesiger Technologieentwicklungen. Diese liegen in der mangelnden Anwendung und vielen anderen Faktoren wie Zeitverzögerung.

Experten warnen aber, dass der demografische Wandel nicht nur unseren Arbeitsmarkt stark belasten wird, sondern das Rentensystem auslaugen wird (dazu unten mehr) und damit unser Wohlstand am Spiel geht. Radikalisierungen und Populisten haben dann freies Spiel, mit Angstmache und einfachen Lösungen, wie man heute auch bei den Wahlen in den Niederlanden erleben mussten.

wIE USA IN digitalisierung investiert

In vielen Bereichen der Verwaltung arbeiten wir in Österreich noch mit Excellisten, unsere Prozesse sind langsam, dazu gibt es viele Studien. Unser Verwaltung ist noch immer sehr bürokratisch, Investitionen in Forschung spielen in der Tagespolitik eine untergeordnete Rolle.

Was passiert aber in den USA zu gleichen Zeit? Im August 2022 hat die US-Administration unter Präsident Biden ein Gesetz zur Inflationsbekämpfung verabschiedet, um gegen die hohe Inflation anzugehen. Das Paket, das auch Klima- und Sozialmaßnahmen einschließt, hat ein Budget von 430 Milliarden Dollar, wovon der Löwenanteil – etwa 370 Milliarden Dollar – in Klimaschutz und Energiesicherheit investiert werden soll.

  • Das markiert die bisher größte Ausgabe der USA im Kampf gegen den Klimawandel. Wie ich in den letzten Wochen im Silicon Valley erfahren habe, zieht es eine große Anzahl von Unternehmen wie Audi, BMW, Schaeffler, Siemens Energy und Aurubis in die USA, um dort zu investieren und ihre Standorte zu erweitern. Von der Elektroautoherstellung über die Wasserstoffproduktion bis hin zum Metallrecycling, alles zieht es derzeit in die USA.

  • Auch die Halbleiterindustrie wird in einem unvorstellbaren Ausmaß unterstützt. Mit dem US-Chips Act wird die Halbleiterindustrie mit ca. 200 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2031 unterstützt.

SPEED KILLS - WIE WIR TECHNOLOGIEN VERSCHLAFEN

Wenn ich in den letzten Wochen in den USA mit verschiedensten Führungskräften, Founder, Wissenschaftler oder Investoren gesprochen haben, immer hatte ich die gleiche Erfahrung: Es ist die Geschwindigkeit und der Pragmatismus, die den Unterschied ausmachen. Erfahrbar ist dies in einer schlagen Verwaltung, den schnelleren Entscheidungen und der Ergebnisorientierung.

Einige Beispiele:

  • Ich habe mit Quantenforschern gesprochen, die in Österreich und Europa Forschungsprojekte umsetzen wollten oder mit Forschungseinrichtungen kooperieren wollten. Kooperationen mit diesen Forschungseinrichtungen kosten für die Unternehmen in der Regel einiges, zusätzlich bleibt die IP in der Forschungseinrichtung. In den USA läuft dies anders, sogenannte „National Laboraties“ sind in der Regel durchfinanziert, den Unternehmen nichts kosten, die Kooperation rasch und bürokratielos funktioniert.

  • VC-Geld für Start-ups ist an jeder Ecke zu bekommen, überall gibt es Demodays, Meetups mit Investoren oder sonstige Pitchevents. Für ein Erstinvestment, sei es Business Angel oder Preseed, braucht es oft nicht einmal ein Produkt. Ich hatte gerade ein KI Start-up kennengelernt, das ein 60 Millionen Invest erhalten hat und noch nicht einmal einen Prototyp vorweisen kann.

  • Überhaupt ist der Unterschied in der Forschung und Entwicklung zwischen Europa und USA eklatant. So beliefen sich zum Beispiel im Jahr 2021 die F&E-Ausgaben der EU auf 2,27 % des BIP, was niedriger war als im Vorjahr mit 2,30 %. Diese Ausgaben waren deutlich niedriger im Vergleich zu Japan (3,34 %) und den Vereinigten Staaten (3,46 %).

  • Oder wenn man sich die aktuelle Entwicklung rund um ChatGPT ansieht: So hat Microsoft alleine in OpenAI im letzten Jahr 13 Milliarden Euro investiert, viele aus der Führungsmanschaft von OpenAI kommen aus Europa. Nur zum Vergleich, Österreich hat im letzten Jahr 6 Millionen Euro in KI-Grundlagenforschung gesteckt, soviel wie Uganda!!!!!

Wie wir uns in europa zu Tode regulieren 

  • In Europa regulieren wir uns zu Tode, insbesondere bei Bewilligung, behördlichen Genehmigungen oder dem Datenschutz. Diese strengen Vorschriften sind zwar für den Schutz der Bürgerrechte, doch hemmen sie gleichzeitig Innovationsgeschwindigkeit. Vor allem ist es die Abgabenquote von 40 % die wenig Spielraum für Innovation zulässt, im Vergleich dazu ist diese Quote in den USA knapp über 20 %.

  • Unser Pensionssystem steht in den nächsten Jahren vor dem Zusammenbruch. So muss der Staat in Österreich jetzt schon fast 20 Milliarden Euro jährlich für die Erhaltung des Pensionssystems zuschießen, in 25 Jahren werden es über 79 Milliarden pro Jahr sein, das sind kumuliert fast eine 1 Billion Euro. Diese Summe muss der österreichische Staat die nächsten Jahre aufbringen, um die Pensionen auszahlen zu können, die uns für Forschung abgehen.

Ausblick

Ich sehe in den USA auch die Schattenseiten, die vielen Obdachlosen, die Ungleichgewichte oder den politischen Radikalismus. Aber ich erlebe vor allem auch die andere Seite, die Leistungsorientierung, den Pragmatismus und die Geschwindigkeit. Bei einem weltweiten BIP von fast 100 Billionen Dollar stellt die USA mit knapp 25 % genau ein Viertel der weltweiten Wirtschaftskraft dar. (Im Vergleich dazu China 18 % und Deutschland 4 %). Was dort passiert, hat Auswirkungen auf uns, ob wir wollen oder nicht und sie scheinen einiges richtig zu machen.

Die Führungskräfte, Entwickler oder Gründer, die ich in den USA treffe, haben nicht den heiligen Gral gefunden, noch sind es Raketenwissenschafter, trotzdem gehen so viele gute Leute dorthin und wollen dort leben. Qualität zieht Qualität an, wenn dies noch auf Risikobereitschaft, Mut und Offenheit trifft, dann gibt dies eine explosive Stimmung, so wie ich sie im Silicon Valley erlebe

Europa verfügt über ein starkes Bildungssystem und hoch qualifizierte Arbeitskräfte, alle beneiden uns darum, doch wir machen so wenig daraus. Das haben wir uns lange leisten können, denn uns ging es gut und hatten den “ Segen der glücklichen Geburt ” in einem Land und zu einer Zeit zu leben, wo Wohlstand ein Selbstläufer war. Aber die Zeiten ändern sich dramatisch schnell und wenn man die nächsten 20 Jahre ansieht, dann laufen wir Gefahr einiges zu verpassen.

Es ist dringend Zeit, dass sich jetzt etwas ändert, sonst verlieren wir den Anschluss. Das ist kein Nörgeln und Jammern, sondern genug ist genug. Wir müssen in Generationen denken und wir müssen endlich Verantwortung für unser Tun zu übernehmen und aus unserer Komfortzone auszusteigen.

Das wird uns niemand abnehmen können, jetzt ist eine gute Zeit dafür!

Autor: Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Veranstaltungstip: Nächste Lernreise ins Silion Valley, 04. Juni - 07. Juni, 2024.

Quellen:

Literatur:

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.