Führung in Zeiten von Künslticher Intelligenz

Field Notes aus San Francisco, Dezmber 2025

Wenn die Zukunft plötzlich vor dir steht — und du merkst, dass sie schneller ist als alles, was du dir je vorgestellt hast

Ich habe in den letzten Jahren viel Zeit im Silicon Valley verbracht, oft länger als geplant, weil mich dieser Ort auf eine Weise packt, wie es kaum ein anderer schafft: Diese Mischung aus elektrischer Unruhe, grenzenloser Möglichkeit, fast schon naiver Zuversicht, und gleichzeitig einer brutalen Klarheit darüber, dass nur das funktioniert, was wirklich Wert schafft. Und ich habe irgendwann gemerkt:
Wir stehen nicht vor einem Umbruch.
Wir leben mitten in einem.

2023 und 2024 waren der Anfang, Übergang - nun fühlt es sich an, als hätte jemand den Boden geöffnet und darunter eine neue Schicht der Realität sichtbar gemacht — schneller, intensiver, und gleichzeitig präziser als alles, was wir zuvor kannten.

Forscher nennen es „AI Cambrian Explosion“, doch dieser Begriff fängt kaum ein, was es bedeutet, live Zeuge zu werden, wie Technologie plötzlich an hundert Orten gleichzeitig aufbricht, sich verzweigt, mutiert, vernetzt, verschmilzt — und dabei eine Welt erzeugt, die wir so noch nie gesehen haben.

1. KI hebt die Produktivität in Dimensionen, die wir in Europa lange nicht für möglich hielten

Wenn ich mit Teams im Valley spreche, spüre ich eine fast körperliche Selbstverständlichkeit, mit der sie sagen: „Natürlich wird KI die Produktivität weltweit um 10 oder 15 Prozent pro Jahr erhöhen.“
Und während man diesen Satz hört, begreift man erst später, dass das mehrere Billionen Euro bedeutet — jedes Jahr, Jahr für Jahr, wie ein wachsender, unaufhaltsamer Strom.

Studien von McKinsey, MIT oder PwC legen Zahlen darauf, aber die Wahrheit ist: Wer durch eine Fabrik geht, in der KI die Parameter intuitiv korrigiert wie ein erfahrener Maschinenführer nach 30 Dienstjahren, der fühlt, was diese Zahlen bedeuten:

  • 15–30 % mehr OEE

  • 10–20 % weniger Energiekosten

  • 20–40 % schnellere Logistik

  • 60–70 % weniger repetitive Office-Arbeit

KI ersetzt keine Menschen. Sie ersetzt Müdigkeit, Reibung, Ineffizienz, Verzögerung — all die unsichtbaren Stellen, an denen Energie verloren geht, ohne dass jemand es bemerkt.

2. Wir gehen in eine „AI embedded world“, in der Intelligenz in den Dingen wohnt wie früher Elektrizität

Früher hat man über „vernetzte Geräte“ gesprochen, heute spricht niemand mehr darüber, weil es selbstverständlich geworden ist. Dasselbe wird mit KI passieren — schneller, tiefer, leiser.

Maschinen beginnen zu spüren, was sie tun.

  • Fahrzeuge beginnen zu verstehen, wann sie müde werden.

  • Gebäude hören ihrem eigenen Energieverbrauch zu.

  • Roboter lernen neue Bewegungen so beiläufig wie Kinder beim Spielen.

  • Lieferketten reagieren, bevor jemand den Stau sieht.

Ich erinnere mich an ein Meeting in einem unscheinbaren Büro in Palo Alto: Die Gründer erzählten ruhig, fast schüchtern, wie ihre Modelle Produktionslinien analysieren und in Echtzeit optimieren können — und plötzlich wurde mir klar, dass sie nicht über Software sprechen, sondern über eine neue Art von Wahrnehmung, die in Maschinen hineinfließt, wie früher elektrische Spannung.

3. AI-CoPilots verändern die Arbeit — nicht durch Ersetzen, sondern durch Befreien

Wenn über 70 % der Wissensarbeiter bald einen digitalen CoPilot nutzen, dann geht es nicht um mehr Effizienz. Es geht um eine stille Revolution der Aufmerksamkeit.

  • Von „ich schreibe“, „ich analysiere“, „ich formuliere“
    hin zu:

  • „ich bewerte“, „ich entscheide“, „ich führe“.

In diesem Wandel steckt auch etwas, was viele Menschen noch nicht sehen - wir werden auchvöllig anders arbeiten.

  • Reports werden nicht mehr geschrieben, sie entstehen.

  • Risiken werden sichtbar, bevor jemand darüber stolpert.

  • Ideen entstehen im Dialog zwischen Mensch und Maschine.

  • Entscheidungen reifen schneller und klarer.

Es ist, als hätte man plötzlich eine zusätzliche Denkebene — eine zweite Stimme neben der eigenen, die nicht kritisiert, sondern anbietet.

4. KI-Entscheidungssysteme machen Unternehmen besser

Ich habe Führungskräfte erlebt, die zum ersten Mal mit KI-basierten Entscheidungsmodellen gearbeitet haben — und ihre Reaktion war nicht Euphorie, sondern Erleichterung. Harvard zeigt:

  • 40 % schnellere Entscheidungen, 25 % höhere Präzision, 30–50 % weniger Fehlentscheidungen.

Das klingt technisch, ist aber zutiefst menschlich: Führungskräfte müssen nicht mehr ständig „recht haben“. Sie müssen nur den Mut haben, die beste Option zu wählen.

5. KI zerstört keine Arbeit. Sie verändert sie

27 % der bestehenden Tätigkeiten verändern sich stark, sagt die OECD. Nur 9 % verschwinden. Aber gleichzeitig entstehen neue Rollen, die vor einem Jahr noch niemand kannte und niemand kann sagen, wie diese Berufe in 10 Jahren aussehen werden.

  • AI Process Engineers.

  • Automation Architects.

  • Human–AI Interaction Designer.

  • Prompt Strategists.

  • AI-Ethics Manager.

Es ist, als würde die Arbeitswelt jeden Monat eine neue Schicht ihrer eigenen Zukunft freilegen.

6. Europa steht unter Druck — und genau deshalb liegt im KI-Einsatz unsere größte Chance

Während im Valley Geschwindigkeit eine Religion ist, kämpfen europäische Unternehmen oft mit dem Gegenteil: langen Entscheidungswegen, knappen Ressourcen, hohem Kostendruck, wachsender Komplexität.Und genau deshalb ist KI für Europa kein Luxus, sondern ein Überlebensmechanismus.

Studien zeigen:

  • Unternehmen, die früh KI einsetzen, steigern ihr EBITDA 2–5x schneller als jene, die warten. Nicht weil sie schlauer sind, sondern weil sie schneller lernen.

In fünf Jahren wird es zwei Arten von Unternehmen geben: Die, die KI nutzen —
und die, die sich fragen, warum alles so schwer geworden ist.

7. Die größte Barriere ist nicht Technologie — es ist das mittlere Management

In Europa begegnet mir immer wieder dieselbe Szene: Oben sitzen Eigentümer*innen, die spüren, dass jetzt gehandelt werden muss. Unten stehen hochmotivierte Teams, die Neues ausprobieren wollen. Und dazwischen sitzt eine Schicht, die in vielen Organisationen zum Nadelöhr der Zukunft geworden ist:

  • das mittlere Management.

    Nicht aus Bosheit. Sondern aus Angst.
    Angst, Kontrolle zu verlieren.
    Angst, sich selbst überflüssig zu machen.
    Angst, dass Transparenz ihre Routinen entzaubern könnte.

  • Viele Manager verbringen 60–80 % ihrer Zeit nicht mit Führung, sondern mit Koordination, Excel-Architektur, Reporting, Absicherung.

Genau diese Tätigkeiten sind die ersten, die KI millionenfach schneller und zuverlässiger löst.

Was ich im Silicon Valley gelernt habe:

👉 KI löst keine Jobs ab – sie löst Machtmonopole auf.
👉 Sie macht Unternehmen flacher, schneller, direkter.
👉 Sie verschiebt Verantwortung dorthin, wo Wert entsteht – nicht dorthin, wo PowerPoint entsteht.

Und plötzlich versteht man, warum europäische Innovationsprojekte scheitern: Nicht wegen fehlender Technologie.
Sondern weil jeder Fortschritt durch fünf Gremien, sieben Excel-Dateien und drei Komfortzonen muss.

Im Valley gilt ein anderer Satz:
„Wenn du fünf Genehmigungen brauchst, ist das Projekt schon tot.“

WHat really counts

Nicht die Technologie hat mich am meisten beeindruckt, sondern die Haltung dahinter: der Mut, Entscheidungen zu treffen, wenn noch nicht alles klar ist. Die Bereitschaft, zu experimentieren, wenn andere noch diskutieren. Der Respekt vor Geschwindigkeit.

  • Ich habe Räume erlebt, in denen 20-Jährige Lösungen bauen, die ganze Industrien verändern könnten.

  • Ich habe Roboter gesehen, die intuitiver wirken als manche Prozesse in europäischen Organisationen.

  • Ich habe Gründer getroffen, die mit einer Mischung aus Demut und Furchtlosigkeit arbeiten, die fast poetisch wirkt.

Am Ende habe ich verstanden: Die Zukunft wartet nicht auf jene, die alles verstehen wollen. Sie gehört denen, die bereit sind, Entscheidungen zu treffen, bevor die Sicherheit kommt.

Die Wiedergeburt der europäischen Industrie beginnt nicht mit Technologie, sondern mit Mut.
Mit dem Mut, Geschwindigkeit auszuhalten.
Mit dem Mut, Altes loszulassen.
Mit dem Mut, Neues zuzulassen, auch wenn es noch keinen Namen hat.

Die Zukunft ist nicht dort drüben im Valley.
Sie ist genau hier – in jeder Entscheidung, die wir heute treffen.


Autor: Werner Sattlegger, CEO Art of Life

Veranstaltunshinweis: Interesse an der nächsten Reise? Hinweis - Silicon Valley Learning Journey, 08.- 12. Juni, 2026
Schreiben Sie mir direkt unter office@the-art-of-life.at
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Literaturhinweis

  • The Coming Wave“ – Mustafa Suleyman

Über die unaufhaltsame Beschleunigung von KI und warum Regulierung und Innovation in Spannung leben.
Ein Pflichtbuch für Eigentümer.

  • „Power and Prediction“ – Ajay Agrawal, Joshua Gans, Avi Goldfarb

Die beste ökonomische Analyse, warum KI nicht nur Automatisierung ist, sondern eine neue Entscheidungsinfrastruktur.
Erklärt perfekt, warum mittleres Management ins Wanken kommt.

  • „Chip War“ – Chris Miller

Ein geopolitisches Meisterwerk über Hardware, Geschwindigkeit und Infrastruktur.
Nach dem Lesen versteht man, warum Europa so unter Druck steht.

  • „The Hard Thing About Hard Things“ – Ben Horowitz
    Valley pur.
    Zeigt die Haltung, die Organisationen durch radikale Transformation bringt.

Externe Quellen (für CEOs, die Fakten wollen)

  • McKinsey: „The Economic Potential of Generative AI“

  • MIT Sloan: „How AI Changes Decision Making“

  • PwC: „Global AI Outlook 2025“

  • OECD: „AI and the Transformation of Work“

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.