The Big AI Wave

San Francisco, Oktober 2025.
Auf der Tech Week und der OpenAI Developer Conference letzte Woche hier im Silicon Valley ist mir eines klar geworden: Wir stehen nicht nur an einem Wendepunkt, sondern einem fundamentalen Strukturwandel für Gesellschaft und Wirtschaft. Denn KI ist nicht mehr nur eine kleine Funktion die vieles erleichtert und uns immer wieder überascht, nein - es wird vielmehr zum neuen Betriebssystem unserer gesamten globalem Wirtschaft.

In Gesprächen fällt kaum noch das Wort Chatbot oder KI Agenten. Stattdessen sprechen alle hier über agentic enterprises und multi-agent systems

  • Organisationen, die nicht mehr auf Prozesse, sondern auf lernfähige, vernetzte Intelligenz gebaut sind. Mit effizienteren, intelligenteren Prozessen, die viel zielgenauer und fehlerfreier arbeiten, am Ende des Tages vor allem auch günstiger. Wie genau und was das alles mit uns Menschen macht, darum geht es in diesem Beitrag.

The second Big ai Wave

Ich sitze oft am Ocean Beach, höre das Rauschen des Meeres – und habe das Gefühl, am Beginn einer riesigen Welle zu stehen.
Eine Welle, die sich hier gerade aufbaut und in den nächsten Jahren über Europa hinwegrollen wird. Wir in Europa schauen zu wie diese Welle sich aufbäumt, beklagen und bedauern, gleichzeitig werden die Karten der gloablen Wirtschaft völlig neu verteilt, dass wird mir so bewusst. In jedem Meet-up oder Demao Day sehe ich Chinesen und Inder, hungrif, supersmart und unendlich fleißig, die meisten CEO und Founder kommen mittlerweile aus dieser Region,

  • Die erste und die zweite Welle der KI

Die erste Welle der KI – ab Ende 2022 – war die der Werkzeuge und Produktivität. ChatGPT, Copilot, Midjourney: Sie haben uns gezeigt, dass Sprache und Wissen digital formbar werden. Diese Phase war geprägt von Staunen, Experimentieren und Effizienzgewinnen. Menschen lernten, KI zu nutzen – aber sie dachten noch in alten Strukturen. Unternehmen fragten: Wie kann KI uns helfen, schneller zu arbeiten?

Die zweite Welle, die hier im Valley jetzt spürbar beginnt, ist architektonisch. Sie betrifft nicht mehr nur Tools, sondern die Art, wie Organisationen denken, handeln und sich organisieren.
Im Zentrum stehen autonome Agenten, die nicht nur Aufgaben erledigen, sondern miteinander kommunzieren und Ziele verstehen, Entscheidungen treffen und mit vielen anderen KI Agenten kooperieren. Arbeit wird nicht mehr nur unterstützt – sie wird orchestriert.

- Die erste Welle hat unsere Werkzeuge smarter gemacht.

- Die zweite Welle macht unsere Organisationen intelligenter

Und ich bin absolut davon überzeugt, dass die Welle nicht zur Zerstörung beiträgt, sondern unfassbar viele Möglicheiten beinhalten. Und sie wird daher nicht zerstören, sondern neu formen.

Bay Area, October, 2025

Die neue Realität – Erkenntnisse aus San Francisco

Niemand spricht hier mehr über Automatisierung. Die Debatte hat sich verschoben – hin zu von Copiloten hin zu autonomen Agenten, organisationaler Intelligenz und KI-Orchestrierung.

OpenAI präsentierte mit AgentKit und dem neuen App-SDK den nächsten Evolutionssprung:

  • Nicht mehr der Mensch programmiert KI – KI baut ihre eigenen Werkzeuge, integriert Datenquellen, agiert eigenständig in Unternehmensprozessen.

Bei der Tech Week zeigten Gründer:innen, wie sich die Architektur der Arbeit verändert: KI-Agenten koordinieren Projekte, testen Software, managen Kommunikation. Die Möglicheit eigene KI-Agenten zu bauen, steht nun jedem offen - dieses Wissen und dieser Zugang ist nun demokratisiert.

Meine wichtigsten Learnings der ersten Wochen:

  • Von der Idee zum Produkt: Noch nie war der Weg von einem Gedanken zu einem funktionsfähigen Produkt so kurz. Jeder kann heute ein AI-Produkt bauen – wenn er versteht, wie man Fragen in Systeme übersetzt.

  • Kreativität explodiert: KI ist kein Ersatz für Ideen, sondern ein Beschleuniger für Umsetzung. Das, was früher Ressourcen brauchte, braucht heute nur noch Vorstellungskraft.

  • Weniger ist mehr: Viele große Unternehmen hier reduzieren bewusst Personal – nicht aus Schwäche, sondern aus Effizienz. KI steigert Output mit kleineren, fokussierten Teams. Das erfordert Mut zur Neuorganisation – aber es funktioniert.

Jedes Unternehmen braucht jetzt eine AI-Strategie

Was hier selbstverständlich klingt, fehlt in vielen europäischen Unternehmen noch:
Eine klare AI-Strategie, die definiert:

  • Rollen: Wer verantwortet KI? Wer gestaltet, wer kuratiert, wer kontrolliert?

  • Abläufe: Wie werden Daten, Wissen und Entscheidungen orchestriert?

  • Kultur: Wie entsteht Vertrauen in Technologie – ohne Angst vor Kontrollverlust?

Eine gute AI-Strategie ist kein Technologieprojekt, sondern ein Führungsprojekt. Sie bestimmt, wie Unternehmen lernen, adaptieren und sich selbst neu erfinden. Ohne sie bleibt KI ein Pilot – mit ihr wird sie Teil der DNA. ührung in der KI-Ära heißt, das eigene Tor zu öffnen. Nicht mehr alles selbst kontrollieren zu wollen, sondern Räume für Intelligenz zu schaffen – menschliche und künstliche.
Das ist leicht gesagt, aber in der Praxis oft die größte Herausforderung.

„Je komplexer die Systeme werden, desto wichtiger wird es, dass Menschen Ambiguität aushalten können.“
– ein Satz, den ich diese Woche in einem Gespräch mit einer AI-Strategin von Google DeepMind gehört habe.

In dieser neuen Realität entstehen andere Führungsqualitäten – solche, die man nicht in klassischen Leadership-Programmen lernt:

Panel at Adobe Headquarter, 2025 - Art of Possible

LEADERSHIP - HOW TO RIDE THE AI WAVE

In San Francisco ist „Try fast, fail fast, learn faster“ keine Floskel, sondern Alltag. Ich habe Start-ups gesehen, die innerhalb von 48 Stunden ganze Produktideen durch KI-Agenten testen – und danach sofort neu justieren. Nicht alles funktioniert, aber alles lernt.

Im Gegensatz dazu blockieren viele europäische Unternehmen Innovation durch übertriebene Risikoaversion. Die Angst, Fehler zu machen, kostet mehr als der Fehler selbst.

📊 Laut einer Deloitte-Studie von 2024 geben 67 % der Führungskräfte im deutschsprachigen Mittelstand an, dass sie Innovation „aus Sicherheitsgründen“ verzögern.
Im Valley wäre das undenkbar – dort gilt: „No data without doing.“

Experimentieren ist keine Gefahr – es ist die neue Form von Kontrolle.

  • Transparenz statt Silos

KI entfaltet ihre Wirkung nur, wenn Daten fließen – und das gilt auch für Wissen. Viele der erfolgreichsten Unternehmen hier im Valley setzen auf radikale Offenheit: Interne Dashboards, offene Meeting-Notizen, geteilte Agenten-Logs – alles transparent. So lernt das System, und mit ihm die Menschen.

Ein CTO eines großen KI-Unternehmens sagte mir:

„Wenn du in Silos arbeitest, trainierst du deine Organisation auf Angst.“

In Europa ist Transparenz noch zu oft ein Zeichen von Schwäche. Doch im Zeitalter der KI ist sie das Gegenteil: die Voraussetzung für kollektive Intelligenz.

  • Mentale Beweglichkeit statt Positionsdenken

Die vielleicht größte Herausforderung für Führungskräfte ist heute mentale Elastizität. Die Fähigkeit, die eigene Meinung zu ändern, wenn sich Daten ändern. KI zwingt uns, permanent neu zu denken – nicht, weil sie alles besser weiß, sondern weil sie uns neue Perspektiven anbietet.

Headquarter Techweek, ocotber 2025

Ich habe letzte Woche einen Gründer getroffen, der mir sagte:

„Wir ändern jede Woche unsere Strategie – aber nie unsere Richtung.“

Das ist der Unterschied: Beweglichkeit in den Mitteln, Klarheit im Ziel. Wer starr bleibt, verliert nicht an Autorität, sondern an Anschlussfähigkeit.

  • Führung heißt heute: Ambiguität umarmen

KI führt uns in ein Zeitalter, in dem es weniger Gewissheit gibt – aber mehr Möglichkeiten.
Nicht alles zu wissen, sondern Orientierung zu geben.
Nicht die Maschinen sind die Gefahr – sondern die mentale Starrheit in Organisationen. Meiner Erfahrung sind die folgenden EIgenschaften diejenigen, die es nun zu entiwckeln gilt.

  1. Zuhören lernen: Technologie verstehen beginnt mit Menschen verstehen.
    Wer nicht nur Tools, sondern Bedürfnisse und Ängste seiner Teams kennt, kann KI sinnvoll implementieren. Führung im KI-Zeitalter ist kein Reden über Algorithmen, sondern ein Zuhören in Unsicherheit.

  2. Menschlichkeit kultivieren
    Haltung, Ethik und Vertrauen werden zur härtesten Währung. KI kann rechnen, aber nicht verantworten. In jedem System braucht es einen Punkt, an dem jemand sagt: „Das ist richtig so – oder eben nicht.“

  3. Trial and Errot
    Wer auf die perfekte Lösung wartet, verpasst das Lernen. Die besten Unternehmen hier starten mit 60 % Klarheit und 100 % Energie.
    Der Rest entsteht unterwegs. Mut zur Unschärfe heißt: Vertrauen in den Prozess statt in den Plan.

From Observer to Builder

Was mich hier im Valley am meisten beeindruckt, ist die Geschwindigkeit des Bauens.
Vom Beobachter zum Gestalter – das ist nicht nur ein Mantra, es ist ein Mentalitätswechsel. Hier wartet niemand auf Erlaubnis. Hier baut man – und lernt beim Bauen.

Silicon Valley Insight: Vor ein paar Tagen saß ich in einem kleinen Co-Working-Space in SoMa.
Zwei junge Gründer – beide keine Entwickler – hatten sich gerade auf einem Whiteboard eine Idee überlegt:
eine Plattform, die Bewerbungsprozesse automatisiert. Eine Stunde später stand der erste Prototyp.
Nicht, weil sie ein Team oder Kapital hatten, sondern weil sie
Agenten orches­triert haben:
Ein GPT-Modell für Textverständnis, ein Claude-Agent für Kommunikation, ein Stripe-Plugin für Zahlungen.
- Gesamtkosten: 3 Dollar.
- Zeitaufwand: 90 Minuten.

„We don’t need permission anymore. We just need imagination.“
– sagte einer von ihnen. Und das bringt es auf den Punkt.

Jede und jeder kann heute in 20 Minuten einen eigenen KI-Agenten erstellen. Was früher Jahre, Kapital und ganze Teams brauchte, entsteht heute in einem Nachmittag – mit Tools wie Agent Builder, Replit, Cursor oder dem neuen OpenAI App SDK.

Die Eintrittsbarrieren für Innovation sind gefallen. Was zählt, ist Neugier, Geschwindigkeit und Umsetzungsenergie. Damit wird Unternehmertum neu definiert:

  • Nicht mehr, wer Kapital hat, baut Unternehmen – sondern wer Ideen in Systeme übersetzen kann.

Damit wird Unternehmertum neu definiert: Nicht mehr, wer Kapital hat, baut Unternehmen – sondern wer Ideen in Agenten übersetzt.

Was das für uns Menschen bedeutet

ich bin davon überzeugt, dass wir an einer Schwelle stehen, an der Technologie nicht mehr ersetzt, sondern uns auch befreit. In der oben angeführten Deloitte Studie

  • ist auch erwähnt, dass fast 50% der Tätigkeiten in Untenrehmen nicht wertschöpfend sind, also ineffizient, verschwenderisch und oft auch langweilig. KI nimmt uns Routinen ab – und zwingt uns damit, jene Fähigkeiten zu aktivieren, die wirklich menschlich sind und auch in naher ZUkunft nicht von Robotern gemacht werden kann: : Kreativität, Urteilskraft, Intuition, emotionale Differenzierung.

  • Aber die Frage ist - was macht das ganze mit uns Menschen?

Schon Sigmund Freud sprach von drei großen narzisstischen Kränkungen: Erst entmachtete uns Kopernikus – wir sind nicht der Mittelpunkt des Universums. Dann Darwin – wir sind Teil der Evolution, keine göttliche Krone. Und schließlich Freud selbst – wir werden zu großen Teilen vom Unbewussten gesteuert, also nicht Herr im eigenen Haus.

Die Kränkung durch Maschine:

Und der große Philosoph Peter Sloterdijk ergänzt diese Reihe um eine vierte Kränkung: die Kränkung durch die Maschine. Sie trifft uns ins Mark, weil sie unser geistiges Territorium betritt – Denken, Sprache, Kreativität. Die Maschine, in diesem Fall die Künstliche Intelligenz, wird zum Spiegel, in dem wir erkennen, dass Intelligenz kein exklusiv menschliches Privileg mehr ist.

Was passiert aber in solchen fundamentalen Shifts ? Es treten Unsicherheite und Unruhe auf, den viele Menschen fühlen sich zu recht bedroht. . Laut dem Future of Jobs Report 2025 des Weltwirtschaftsforums könnten bis 2030 rund 92 Millionen Jobs durch Automatisierung verschwinden – während etwa 78 Millionen neue entstehen. Die Netto-Bilanz mag neutral erscheinen, doch der Übergang ist schmerzhaft: ganze Berufsbilder lösen sich auf, neue entstehen an anderer Stelle, oft mit völlig neuen Kompetenzanforderungen. Eine Studie von David Marguerit (2025) zeigt: Automatisierende KI verdrängt vor allem Tätigkeiten mit Routinen, während „Augmentierungs-KI“ neue, höher qualifizierte Rollen schafft – in Management, Kreativarbeit und datenbasierten Entscheidungsprozessen.

Diese Verschiebung ist mehr als ökonomisch – sie ist existenziell. Wir verlieren Funktionen, mit denen wir uns identifiziert haben, und müssen lernen, uns jenseits von Leistung neu zu definieren.

Am Ende ist diese vierte Kränkung vielleicht unsere größte Chance: Wenn Maschinen lernen zu denken, sind wir gefordert, neu zu fühlen, bewusst zu handeln und Sinn zu schaffen, wo Algorithmen nur Muster erkennen. Das ist die eigentliche Arbeit der Zukunft – und sie kann uns, wenn wir sie annehmen, menschlicher machen als je zuvor.

How to surf the wave – Europa, es ist Zeit zu handeln

Wir können die Welle nicht aufhalten – aber wir können lernen, sie zusurfen . Europa hat alles, was es dafür braucht: Tiefe, Verantwortung, Ingenieurskunst, Bildung und Werte.
Was uns fehlt, ist nicht Technologie – sondern Tempo, Vertrauen und der Mut zur Unvollkommenheit.

Wir müssen aufhören, KI als Risiko zu sehen, und anfangen, sie als Gestaltungsraum zu begreifen.
Nicht jedes Unternehmen muss ein Tech-Unternehmen werden. Aber jedes Unternehmen braucht jetzt eine Haltung zu Technologie – eine Vision, wie sie Arbeit, Kultur und Wertschöpfung verändern darf.

Das Valley zeigt, was möglich ist. Europa muss zeigen, wofür es das tut. Wir brauchen uns weder verstecken noch erfürchtig vor dem Valley verneigen, sondern mutig und anpassungsfähiger werden.

Charles Darwin schrieb einmal:
„Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, sondern diejenige, die am besten auf Veränderungen reagiert.“

Genau das gilt heute für Unternehmen, Organisationen und Gesellschaften. Die Zukunft gehört nicht den Schnellsten, sondern den Mutigen – denen, die sich trauen, das Tor zu öffnen und hindurchzugehen.

Literatur

  • Future of Job Report - World Economc Forum

  • David Marguerit, Augmenting or Automating Labor? The Effect of AI Development on New Work, Employment, and Wages, Cornell University

  • Peter Sloterdijk, Nicht gerettet - versuche nach Heidegger, Kränkung durch Maschinen, Suhrkamp

  • Financial Turmoil and the Economy“, Federal Reserve Bank of San Francisco Annual Report 2008
    → Beschreibt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise Anfang 2008. Federal Reserve Bank of San Francisco

  • Persönliche Erfahrungen während der techweek in SF, Oktober 2025

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.