Zu werden, die/der man ist

Wir leben in herausfordernden Zeiten, aktuelle und vergangene Krisen verlangen von uns Menschen viel ab. Manche von uns beutelt es so richtig durch, wo vieles im Leben oder im Beruf in Frage gestellt wird oder über Bord geworfen wird. Das kann aber die Türen für tiefgreifende Entwicklungsprozesse öffnen, die gerade in der New Work dringend notwendig sind. Um welche es sich handelt und was wir konkret in Organisationen tun können, darum geht es in der aktuellen Art of Life Podcastepisode.


Der Individuationsprozess nach C.G. Jung

Der Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung hat vor über 100 Jahren zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, wie der Dialog zwischen dem Bewussten und Unbewussten passiert und daraus die These der Individuation aufgestellt.

Die Grundidee  ist, dass wir alle unserer Fähigkeiten, Anlagen und Möglichkeiten, die in uns stecken, im Laufe unseres Lebens zur Entfaltung zu bringen müssen. Dabei geht es nicht um eine Wahlmöglichkeit, sondern es ist unser Lebensauftrag, eine verantwortungsvolle und reife Persönlichkeit zu sein und zu werden.

Das hat auch für den Berufsalltag und unsere Gesellschaft große Bedeutung, brauchen wir doch immer weniger Ausführungsautomaten, sondern Menschen, die sich einbringen, die mitdenken, die kreativ sind und die verantwortungsvoll sind.

 
4 Entwicklungsphasen des Individuationsprozesses

Es gibt 4 Phasen, um diese Persönlichkeit zu werden. 

1.    Persona

Persona ist das, das ich der Welt präsentiere und als Aufgabe vor allem in der ersten Lebenshälfte relevant ist. Denn dabei geht es um die berufliche Situation, die Familiengründung oder Einkommen, die wichtig und im Zentrum unserer Bemühungen stehen.

2.    Schattenarbeit

In der zweiten Hälfte unseres Lebens geht es darum, sich denjenigen Bereichen zuzuwenden, wie wir noch nicht berücksichtig haben. Das sind Veranlagungen, Interessen oder Fähigkeiten,  die wir verdrängt  und keinen Raum gehabt haben.

Die vielleicht durch persönliche Verletzungen zurückgedrängt wurden oder einfach nicht sein durften, aber nun nach vorne drängen.

Der Schatten ist die Summe all dessen, was nicht gelebt wurde und wird, wir erkennen es an unseren Projektionen. Eigenschaften oder Verhalten, das ich an mir nicht haben will und verdränge, projiziere ich in andere hinein!

3.    Anima und Animus

Anima und Animus sind Qualitäten im Leben, die im Laufe der Zeit nach vorne drängen und für bestimmte Handlungsweisen stehen. Anima ist der weibliche Anteil im Mann und Animus ist der männliche Anteil in der Frau. Beim Animus als der männliche Anteil in der Frau geht es um Durchsetzung, Abgrenzung oder Umsetzung. Bei der Anima als der weibliche Anteil im Mann geht es um Kreativität, Intuition oder sonstige Aspekte der Sanftheit. Wichtig dabei ist, dass jeder Mensch beides in sich trägt.  

4.    Vom Ich zum Selbst

Das Selbst ist die Summe allen gelebten und ungelebten Lebens, das zur Ganzheit strebt. Es ist ein Zustand der Veränderung und des Werdens, der letztlich nie aufhört.

Diese Entwickungsaspekte sind gerade auch in Zeiten von New Work von großer Relevanz. Will doch einer aktuellen Studie folgend jede/r 4. Mitarbeiter/in  noch dieses Jahr seinen Job kündigen, da er keine Entwicklung und Wertschätzung erfährt.

Organisationen müssen Räume für Entwicklungen bieten  

Für jeden Menschen in diesen Entwicklungsphasen geht es um eine Innenschau, wo Unternehmen Angebote machen können, jenseits von starren Mustern.

Denn Menschen werden noch viel zu oft in „Schuhschachteln“ gesteckt und verharren dort viele Jahre. Dabei wäre es gerade für Führungskräfte eine der wichtigsten Aufgaben, diese Entwicklung zu fördern, dh. kreativ zu sein und vor allem diesen Entwicklungen auch Raum zu geben.

Authentisch, auf die Gesellschaft schauend, die Rollen und Normen hinterfragen – das ist wohin wir uns hin entwickeln sollten. Jeder hat auch die Fähigkeiten in sich, sich zu entwickeln, dabei gibt es auch Widerstand. Aber es lohnt sich dranzubleiben, denn Entwicklung ist in uns angelegt.

Und sich auch diese Zeit zu gestatten – dies ist kein Prozess den man beschleunigen kann. Wachstum und Entwicklungen brauchen Zeit und Raum.

Autoren: Mag. Manuela und Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Lesetipp:

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”, 2022

Loil Neidhöfer/Werner Sattlegger, “Wenn die Sehnsucht größer wird als die Angst”

Mehr zu C.G. Jung;

Jolande Jacobi: “Die Psychologie von C.G. Jung”

Verena Kast: “Die Dynamik der Symbole. Grundlage der Jungschen Psychotherapie”

Ute Karin Höllrigl: “Goldene Spur. Der Prozess einer Individuation in Träumen und Bildern”

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.