Wirtschaft neu denken und handeln
Viele Menschen erleben gerade jetzt ein Multiorganversagen unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Unsere Systeme scheinen in vielen Bereichen an ihre Grenzen zu kommen, Menschen fühlen Ohnmacht und Ungerechtigkeiten in vielen Bereichen. Die Gräben in unserer Gesellschaft und Bildung werden weiter und sind Quellen für Frustration.
Menschen empfinden sich nicht mehr als Schöpfer des eigenen Wirkens, „haben es nicht mehr in der Hand“.
In einer Krise kann das eine gefährliche Mischung für soziale Unruhen werden, auch wenn sich Menschen viel gefallen lassen. Daher ist es vielleicht gerade jetzt an der Zeit, sich einmal grundsätzlich andere Fragen zu stellen, wie zum Beispiel:
- Wie wollen wir uns als Gesellschaft und Wirtschaft in Zukunft organisieren?
- Wie und in welcher Form wollen wir in Zukunft Arbeit bewerten?
- Vielleicht müssen wir gerade jetzt unser Wirtschaftssystem radikal überdenken?
In unserem aktuellem, patriachlistisch und kapitalistisch geprägtem Wirtschaftssystem dreht sich alles um das „Haben“ an materiellen Gütern oder sozialprestigträchtigen Positionen. Die Arbeit dient oft als Mittel zum Zweck für den eigenen Selbstwert und nicht für die Entfaltung der eigenen schöpferischen Kräfte.
Arbeit gegen Geld gibt es nur in sehr spezifischen Bereichen, die ohnehin bald der Künstlichen Intelligenz zum Opfer fallen werden. Egal ob Kinderfürsorge, Umweltbelastungen oder Altenbetreuung, diese kommen in aktuellen Wirtschaftssystemen als monetär relevante Variablen nicht vor. Wenn man sich zu solchen Themen äußert, wird man schnell in einer Ecke kommunistischer Weltverbesserer geortet. Ich ziehe hier eine sachlich fundierte Diskussion vor, da hilft immer ein Blick auf die Geschichte.
Wurde uns eine falsche Geschichte erzählt?
Aktuelle Untersuchungen, allen voran vom Sozialanthropologen Marshall Sahlin (im Buch „stoneage economy) belegen, dass es die Gesellschaft der Jäger-und SammlerInnen war, die das Prädikat »ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft« verdient. Es war offensichtlich eine Gesellschaft, in der sämtliche materiellen Bedürfnisse der Menschen mit Leichtigkeit erfüllt werden konnten. Gleichzeitig benötigte diese Gesellschaft pro Kopf und Jahr weniger Energie als irgendeine andere menschliche Kulturform. Bei einem Nahrungsbeschaffungs-Arbeitsaufwand von täglich 3- bis 5-Stunden (für einen erwachsenen Arbeiter) durfte das Leben nicht so furchteinflößend gewesen sein, wie uns das immer erzählt wurde.
Ebenso finden sich viele Hinwiese, dass sogenannte Patriarchate, also Dominanzsysteme, erst innerhalb der vergangenen 10.000 Jahre entstanden. Über hunderttausende Jahre dürften die Menschen überwiegend in egalitären und partnerschaftlichen Gemeinschaften gelebt haben, dort vor allem Kooperation und Kollaboration gelebt haben.
Mit dem Beginn des Ackerbaus begannen die Menschen sesshaft zu werden. Nachdem Zerfall feudaler Strukturen begann sich der Wert der Arbeit fundamental zu ändern, viele Menschen boten ihre Kenntnisse und Dienstleistungen an. Arbeit war bald nicht mehr notwendiges Übel, sondern entwickelte sich zur Quelle der persönlichen Identitätsbildung.
Mit den Schriften von John Locke und Adam Smith[1] nahm die Verherrlichung der Arbeit weiter zu, Ziel und Zweck der menschlichen Tätigkeit war allein wachsender Wohlstand, materielle Güter und anerkannte berufliche Tätigkeiten dienten zur Steigerung des Selbstwerts.
Unterstützt wurde dies von der Strömung des Calvinismus, der die Nützlichkeit des menschlichen Handelns und wirtschaftlicher Erfolg als Selbstzweck des Lebens sah.
Mit Anfang des letzten Jahrhunderts hat sich diese Entwicklung verschärft, Industrialisierung, Massenproduktion und Arbeitsteilung haben ihren Beitrag geleistet. Hannah Arendt[2] hat in den 50er Jahren in ihrem Werk „Vita activa oder vom tätigen Leben“ den „Animal laborans“ sehr anschaulich beschrieben. Erich Fromm hat in „Haben oder Sein“ den sogenannten Marketingcharakter beschrieben, „der sein ganzes Tun auf den Erhalt des äußeren Scheins fokussiert“.
Verkannte Grundlagen der Wirtschaft
Die Soziologin Riane Eisler ist gebürtige Wienerin, flüchtete vor den Nazis und gründete in Kalifornien das „Center for Partnership Studies“. In ihrem aktuellen Buch „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie“, beschreibt sie einen grundsätzlichen anderen Zugang, wie Wirtschaft funktionieren kann.
Es ist ein Modell, das den Wert von Umweltschutz sowie von Pflege und Fürsorge monetär anerkennt. In Ihrem Forschungsinstitut wurde die Kennzahl des Sozialen Wohlstandsindex entwickelt, die – anders als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – die Rentabilität von Investitionen in Fürsorge für Mensch und Mitwelt sichtbar macht. Denn erst durch den achtsamen Umgang mit wertvollem Human- und Naturkapital kann „wahrer“ Wohlstand erzeugt werden.
Unbezahlte Fürsorgearbeit - also etwa die Betreuung der eigenen Kinder – wird mit in die Berechnung der Wirtschaftskennzahlen einbezogen. Daran kann abgelesen werden, wie sehr Wirtschaftssysteme auf dieser unbezahlten Arbeit beruhen. Auch Umweltschäden, Investitionen in „Humankapital“, Bildung oder andere Maßnahmen, die der Gesamtgesellschaft zugutekommen, sollten abgebildet werden.
Was bedeutet das für Führungskräfte?
Ich bin davon überzeugt, dass sich Führungskräfte in einem größeren Ganzen sehen müssen. Placebo Aktionen wie ein Sozialaktionstag oder unternehmerische Spenden für einen guten Zweck bringen wenig und sind nur Symptombekämpfung. Sie müssen auf einer tieferen Ebene ansetzen, dort wo Veränderung stattfindet.
Und zwar am System und dessen Wertekatalog, was wir heute für wichtig und richtig erachten, scheint sich gerade fundamental zu ändern. Diesen Entwicklungen scheinen keine Trends zu sein, sondern es handelt sich um einen fundamentalen Wertewandel. Nun sollten wir diesen Gedanken auch Taten folgen lassen und jede Führungskraft kann dies in seinem Wirkungskreis tun!
Quellen und Literaturtipps
[1] John Locke(1632 – 1702), Adam Smith (1723-1790)
[2] Hannah Arendt: „Via Activa oder vom tätigen Leben“, 2007
Raine Eisler, „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie,“(2020)
Erich Fromm, „Vom Haben zum Sein“,
Marshall Sahlin, „Stone Age Economics“, 1972 vergriffen