Certainty in Uncertainty

Wie ich als Führungskraft die Unsicherheit managen kann

Prognosesicherheit und Gewissheit schauen gerade anders aus, trotzdem müssen viele Führungskräfte in den nächsten Monaten Forcasts, Pläne und Prognosen für die nächsten Jahre abgeben. Haben wir uns in den letzten Jahrzehnten einfach nur getäuscht und sind Unsicherheiten der Normalzustand?  Sind wir als Menschen und Organisationen nicht mehr als Passagiere? Angesicht dieser Entwicklungen, was können Führungskräfte nun tun?

Obwohl wir von Planbarkeit und Prognosen leben, finden sich in der modernen Forschung zahllose Belege für die sog. „Illusion der Gewissheit“ These (Gerd Gigerenzer). Die verschiedenen Zugänge dieser Theorie besagen, dass parallel zum schnell wachsenden Wissen die Rate des Ungewissen steigt. Obwohl wir in der Moderne gerne genau das Gegenteil gestalten wollen, was Max Weber das „stählernes Gehäuse“ nennt. Durch die Institutionalisierung der Rationalität sollte „Hörigkeit“ und Sicherheit geschaffen werden. Bis zu einem gewissen Grad ist dies auch offensichtlich gelungen, wie zum Beispiel die erhöhte Lebenserwartung der Menschen belegt. Lebensrisiken können heute minimiert werden, wie z.B. bessere Krankheitsvorbeugung oder Diagnosemöglichkeiten. Aber auch in der Wirtschaft und Gesellschaft gibt unzählige Beispiele, wie KI basierte Angebote Treffsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten berechnen (AirBnB, Tinder,..).  

Aber was wenn uns diese Entwicklungen der Effizienzreduktion über den Normalzustand der Unsicherheiten hinweggetäuscht haben?

Unsicherheit in unserem Wirtschaftssystem

Nach einigen Theorien scheinen wir Wissen, Analysen und Pläne überzubewerten, gleichzeitig unterschätzen wir die fundamentalen Auswirkungen unerwarteter Ereignisse oder Zufälle. Vor allem Nicolas Nassim Taleb hat sich mit diesen unerwarteten Ereignissen, sogenannte Black Swans, auseinandergesetzt. Seinen Erkenntnissen und Forschungen nach werden Prognosen nicht nur überwertet, sondern sind zu einem großen Teil nicht möglich. Niemand in der Welt konnte 9/11, die letzten Börsencrashes, kriegerische Auseinandersetzungen oder Seuchenausbreitungen vorhersagen, auch nicht COVID 19. 

Täuschungen sind dafür verantwortlich

  • Narrative Verzerrung

Das nachträgliche Schaffen einer Erzählung, um einem Ereignis einen plausiblen Grund zu verleihen. Im Nachhinein werden Narrative für vergangene Ereignisse aufgebaut, sei es bei einer Unternehmenserfolgsgeschichte oder einer Erfindung,  die dann oft  als „7 Geheimnisse des Erfolges“ verkauft werden. 

  • Statistisch-regressive Verzerrung“

Der Glaube, dass sich das Wesen einer Zufallsverteilung aus einer Messreihe erschließen lässt, was aber nicht möglich ist. Taleb kritisiert die Denkweise von Risikobewertungen, die man aus der Spieltheorie kennt, in der Übertragung auf das wirkliche Leben (das Casino kann nicht auf das Leben übertragen werden).

Trotz Kenntnis dieser Verzerrungen nehmen wir an, dass alle großen Entwicklungssprünge in Gesundheit, Technik oder Gesellschaft wie Erfindungen oder Medikamente auf Grund der folgender Reihenfolge stattgefunden haben: Wissenschaft/Forschung – Technik – Erfahrung. Gründliche Untersuchungen aller großen Errungenschaften der Menschheit beweisen aber oft das Gegenteil. Sei es Penicillin oder die Erfindung der Glühlampe oder die Entdeckung der DNA – oft sind es reine Zufallsentdeckungen! Oder das Rad wurde bereits vor 6000 Jahre erfunden, aber erst im Jahre 1972 kam jemand auf die Idee Räder auf einen Koffer zu montieren – die Geburtsstunde des „Trolleys“. Hunderte Jahre trug man Koffer, niemand kam auf die Idee das Naheliegende zu tun: Räder auf den Koffer zu schrauben. 

Es waren immer Unsicherheiten, Zufälle, Serependität oder Unordnungen, die zur Weiterentwicklung geführt haben. Beginnen wir doch einfach diese als Teil des Lebens nicht nur anzuerkennen, sondern auch zu würdigen. 

Wie kann ich als Führungskraft Unsicherheit managen?

  • Weniger Pläne und Forcasts

Wenn es eine Region in der Welt gibt, die in den letzten Jahrzehnten aus Unsicherheiten Neues entwickelt hat, dann ist das der Nährboden des Silicon Valleys. Diese ist nicht nur die Wiege von neuen Technologien,  sondern vieler erfolgreicher Produktentwicklungen, die möglich waren, weil Menschen dort mit Mut, Risikobereitschaft und Visionen neuen Wege gegangen sind. 

Das ist der eine Teil der Geschichte, der andere lautet:  alle erfolgreichen Start Ups im Silicon Valley haben eine Regel beachtet: Trail and Error. Produkte werden dort in einem iterativen, organischen und lernorientierten Prozess entwickelt. Zuerst entsteht ein sogenanntes „Minimal Viabale Product“, dass oft innerhalb ein paar Wochen fertiggestellt wird und dann mit dem Kunden weiterentwickelt wird. Es wird ausprobiert, die Fehler werden adjustiert, was gut läuft wird verbessert. Aus Unordnung, Fehlern oder Zufällen kann Neues entstehen, weil diese nicht nur willkommen geheißen werden, sondern als Grundlage für Wachstum angesehen werden. Das gelingt aber nur wenn man nicht an Businessplänen oder Forcasts klebt, sondern sich organisch und lernend entwickelt. Dabei können Steuerungsinstrumente genutzt werden, die einen große Flexibilität ermöglicht, so wie Google’s Wunderwaffe OKR.

  • „reinen Wein ein EINSCHENKEN“

Menschen wollen in Zeiten der Ungewissheiten weder Pseudoaktivitäten, noch wollen sie angelogen werden. ehrlich, offen und klar, zu kommunizieren, vor allem auch in der Unwissenheit, das bewahrt Vertrauen und Glaubwürdigkeit. „Die Wahrheit muss den Menschen zumutbar sein“ von Ingeborg Bachmann sollte sich jede Führungskraft ins Stammbuch schreiben. 

  • lernende Organisationen

Vor allem der Einsatz Künstlicher Intelligenz wird Arbeit und Organisationen von Grund auf verändern, viele Jobs werden wegfallen und neue Fähigkeiten (Skills) notwendig werden. Wer jetzt nicht Organisationen baut, die sich beweglich und lernfähig weiterentwickeln und Menschen dafür begeistert, wird aus dem Spiel sein. 

  • Vertrauen und Glaubwürdigkeit

Keine Führungskraft hat eine Glaskugel und weiss mehr als die Mitarbeiter. Sich dies als Führungskraft nicht nur einzugestehen, sondern auch den Mitarbeitern gegenüber zu kommunizieren, das wäre die erste wichtige Brücke Richtung Vertrauen in Zeiten der Unsicherheit. Sich iterativ lernend fortbewegen, adaptiv und flexibel bleiben, den Mitarbeitern keine “Geschichte” erzählen, sondern mit dem Wandel in Resonanz bleiben. Das Leben ist Veränderung und nicht starr, das gilt als Organisationen in Zeiten wie diesen umso mehr. Wenn Führungskräfte genau dies leben, ohne vorzugeben alles zu wissen, ist dies ein Schritt in Richtung Glaubwürdigkeit.

Die Zeiten der Sicherheit und Planbarkeit sind vorbei, das muss uns allen klar sein. Im Gegenteil, sie waren vielleicht nur Illusionen, denn Unsicherheiten und Zufälle sind oft wichtige Bausteine für unsere Entwicklung. Dann wird der Wandel und die Ungewissheit auch seine Bedrohung verlieren, sondern kann eine Möglichkeit für Entwicklung sein.

Literatur

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung“

Nicolas Nassim Taleb: "Narren des Zufalls"

Gerd Gigerenzer: „Risiko, wie man die richtigen Entscheidungen trifft“

Max Weber: „Wirtschaft und Gesellschaft"

 
 

 
Autor: Werner Sattlegger Founder & CEO Art of Life

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse- wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.