Der tiefe Fall

Hybris

Wie können einstige hochtalentierte, integre und erfolgreiche TOP Führungskräfte, die oft lange als „Sonnenkönige“ angehimmelt wurden, so dramatisch abstürzen? Wie verändert eine Machtposition Menschen und welche Mechanismen greifen hier? Warum huldigen wir Blender so lange?

Diese Fragen stellten sich zuletzt beim “BUWOG Prozess”, um den ehemaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser, aber auch schon früher wie z.B. beim gefeierte Medienmanager Thomas Middelhoff, dem ehemalige Finanzminister Dominique Strauss-Kahn. Mich interessieren hier vor allem die sozialen und psychologischen Muster, die hinter solchen Abstürzen stecken, nicht so sehr die juristischen oder politischen Gründe.

Egal in welchem Land, die Entwicklung ist immer ähnlich: Menschen kommen in Führungspositionen, genießen neuen Glanz mit vielen Privilegien, inklusive Zugang zu Ressourcen, Netzwerken und Geld. Das bedeutet Macht, denn sie können Dinge tun, die ohne diese Position nicht möglich waren.

Da Führungskräfte in Machtpositionen ihren Willen oft gegen den Willen anderer Menschen durchsetzen können, beginnen sie Jasager um sich zu scharren. Widerspruch wird daher oft vermieden, Führungskräfte beginnen Grenzen auszuloten und manchmal zu überschreiten. Sie kommen in einer Welt “des vorauseilenden Gehorsams” damit auch lange durch und machen es daher wieder, bis die großen Dinge passieren. Dann setzen sie wider besseren Wissens alles aufs Spiel, riskieren im Wissen, dass sie alles verlieren können, was sie haben (und das ist in der Regel viel), aber warum tun sie das?

“Derailment”, wenn Führungskräfte entgleisen

Der „Derailment“ Begriff hat seinen Ursprung in den 1980er Jahren und bezog sich seinerzeit auf das Phänomen, dass Führungskräfte mit eigentlich hohem Potenzial überraschenderweise ein vorzeitiges Karriereende erlebten. Derailment oder Derailing  (deutsch: entgleisen, umgangssprachlich: aus dem Ruder laufen) bedeutet heute eine Metapher für ein außer Kontrolle geratendes Führungsverhalten, vor allem der hier beschriebene tiefe Absturz. 

Die beiden US Professoren Dan C. Ludwig und Clinton O. Longenecker hatten bereits 1993 einen viel beachteten Artikel  - „The Bathsheba Syndrome: The Ethical Failure of Successful Leaders”  -  darüber verfasst. Sie haben dieses Verhalten mit einer Geschichte aus dem alten Testament verglichen, in welcher der höchst erfolgreiche König David sich in die Frau eines seiner Offiziere verliebt. Daraus entwickelten sie das Bathsheba Syndrom“, welches das Fehlverhalten von Führungskräften beschreibt. 

„David war einer der bedeutendsten Könige in der Geschichte Israels (um 1000 v. Chr.). Er war intelligent, gut aussehend, ein brillanter Feldherr, vor allem aber das Urbild eines Liebhabers. David war nach vielen erfolgreichen Schlachten am Höhepunkt seiner Macht, sein Glanz strahlte und das Volk bewunderte ihn. 

Batseba war die Frau von Urija, ein ranghoher Offizier von König David, der ständig erfolgreich auf den Schlachtfeldern unterwegs war. 

König David sah eines Tages vom Dach seines Palastes Batseba beim Baden zu. Er ließ sie zu sich holen und begann sich ihr körperlich zu nähern, um letztlich mit ihr außerehelich zu verkehren. 

Als David danach erfuhr, dass Batseba von ihm schwanger geworden war, beorderte er ihren Mann Urija nach Jerusalem zurück in der Hoffnung, dieser würde mit Batseba ehelich verkehren und das Kind später als sein eigenes anerkennen. Welche List!

Urija weigerte sich jedoch, das eigene Haus zu betreten und bei seiner Frau zu schlafen, da es während Kriegszeiten nicht geboten war. Daraufhin beauftragte David seinen Hauptmann Joab Urija im Kampf hinterlistig im Kampf sterben zu lassen. 

Nach dem Tod ihres Mannes Urija wurde Batseba die achte Frau von König David.Von schlechtem Gewissen keine Spur, das Verbrechen wurde vertuscht. 

Aber das Unheil tritt bald ein, ihr erster Sohn stirbt, Salomo, ihr zweiter, wird Davids Nachfolger. David stirbt einsam und im Wissen, dass er großes Unheil angerichtet hat“  

Man muss bei dieser Geschichte wissen, dass König David ein unglaublich intelligenter, erfolgreicher, talentierte, beliebter und vermögender König war. Er hatte alle Voraussetzungen für weitere Erfolge, trotzdem hat er sich auf ein Verhalten eingelassen, dass ihm allen Ruhm und Ehre gekostet hat. Er war bei vollem Bewusstsein, was sein Verhalten bedeutet, trotzdem setzte er dieses Verhalten.

Die Gründe für ein außer Kontrolle geratenes Führungsverhalten

  • Selbstzufriedenheit

Seine jüngsten Erfolge im Kampf haben König David anscheinend selbstzufrieden und selbstgefällig gemacht. Anstatt seine Truppen in die Schlacht zu führen, blieb er zu Hause und überließ die Führung seiner rechten Hand Joab. Seine Erfolge haben David überheblich und ignorant gegenüber seine Pflichten gemacht. König David hat sich nicht mehr um das Reich und die Führung der Truppen konzentriert, sondern in diesem Fall auf Frauen. Das passiert auch vielen Managern, wenn Sie die ersten Auszeichnungen als „Manager des Jahres“ bekommen. Sie beginnen sich mehr auf ihre Selbstdarstellung zu konzentrieren, als auf das Wohl des Unternehmens. 

Thomas Middelhoff ist der einzige Manager, der sehr selbstkritisch öffentlich über seine Vergangenheit spricht, offen und ehrlich. Andere Betroffene bleiben ewig in einer Lebenslüge, streiten alles ab, die anderen Menschen oder Richter seien Schuld, ein selbstgezimmertes Konzept, das nicht zerbrechen darf. Middelhoff hingegen hinterfragt sein Handeln, aber auch das System, das die aufsteigende Manager hinauf schreibt, dann aber tief fallen läßt.

Er hat für junge Manager einen Rat: “Meidet jegliche Managerauszeichnung und lernt demütig zu bleiben.”

  • Macht durch Zugang zu Ressourcen

David wusste, dass es falsch wahr, was er machte, trotzdem tat er es. Er war sich seiner Sache sehr sicher, da er Zugang zu Ressourcen wie Truppen, Geld und anderen Möglichkeiten hatte. Das erlebt man auch bei vielen gescheiterten Managern, wo man oft hat das Gefühl der Unfehlbarkeit hat. Sie wissen, dass sie Dinge in Bewegung setzten können, gegen Widerstände von anderen Menschen. Das ist auch die Eigenschaft von Macht. Damit kommen Führungskräfte oft durch, reizen diese Möglichkeit oft immer mehr aus und denken sich, ist ja bisher auch immer gut gegangen.

  • Dunkle Seite des Erfolges

Die Vorteile des Erfolgs einer Führungskraft sind offensichtlich, wie Macht und Einfluss, höherer Status, ein gesteigertes Gefühl der persönlichen Leistung, Belohnungen und Vergünstigungen, wie Dienstautos oder Privatjets. 

Die dunkle Seite des Erfolges wird dabei immer übersehen, wie z.B. persönliche Isolation, Angst alles zu verlieren, Neid, persönliche Angriffe, den Erfolg nicht wiederholen zu können, Stress, Fremdbestimmtheit, oder Abwesenheit von zu Hause und damit fehlende Balance. Vor allem auch die Entwicklung eines falschen Selbst, da man immer mehr die Erwartungen anderer Menschen erfüllen muss, ohne seine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.

Diese dunkle Seite verändert das Verhalten von Menschen, wenn die Persönlichkeit nicht gefestigt ist.

  • Hybris in Führungspositionen

Das Hybris-Syndrom wurde erstmals vom Ex-Politiker David Owen und dem Psychiater Jonathan Davidson als Eigenschaft beschrieben, das extremen Stolz, übermäßiges Selbstvertrauen und völlige Verachtung für andere Menschen zeigt. Die weiteren Eigenschaften des Hybris-Syndrom sind der Verlust des Kontakts mit der Realität, das Sprechen als „Messias“, impulsive Handlungen oder Hybride Inkompetenz (bei der höchsten Selbstüberschätzung kann dies zu Unaufmerksamkeit für Details führen).

Viele von diesen Eigenschaften sind denen von Narzissten ähnlich, manche unterscheiden sich aber auch. Das wichtigste dabei ist, dass viele der Hybris Eigenschaften wieder vergehen, wenn die Führungsposition wieder endet.

  • persönliche Erfahrungen

Ich hatte in meinem Leben das Glück sehr früh in die Nähe von TOP Führungspositionen zu kommen und zu beobachten, wie sich Menschen dort verändern, je höher sie in der Karriereleiter emporklettern. Ich habe diese Mechanismen vor allem in Österreich beobachtet, wo sich viele Menschen noch immer über Status, Macht und Geld definieren. Wo nicht der Charakter zählt, sondern das was ich von dieser Person “bekommen kann”, alle “old boys” Netzwerke bedienen diese Muster und fördern so Karrieren.

Eine Führungskraft kann heute noch immer menschlich sehr zweifelhafte Eigenschaften haben, trotzdem wird eine Führungskraft gerade in Österreich in der Gesellschaft unkritisch hofiert, wenn man Macht hat, entweder durch Geld oder eine Funktion. Im Silicon Valley oder an anderen Orten habe ich das anders erlebt, da wird man zuerst gefragt was man kann und was man beiträgt, wie man “performt” und welche Person man ist. Nicht auf Basis einer Funktion oder wegen einem tollen Auto, sondern auf Basis von skills. Dadurch entsteht auch viel weniger dummer Neid, der gute Dinge zerstören will, im Gegenteil: Geld wird als Basis von Erfolg und Leistung anerkannt.

Aber wichtig dabei ist, dass niemand vor „Derailment“ gefeit ist, viele der bekannten Fälle haben lange Jahre Prinzipien gelebt, waren integrer und kohärent. Bertrand Russell hat es „Rausch der Macht“ genannt, den eine Führungskraft in Machtpositionen erleben kann, wenn diese nicht innerlich gefestigt ist, kann sie „überschnappen“.

Ausblick

Können wir es verhindern ? Wir können dies nur einschränken, indem wir nur reifen Führungspersonen Macht geben, vor allem rechtzeitig Hybrissymptome konfrontieren. Dafür brauchen wir einen ehrlicheren Blick auf menschliches Verhalten, Selbstreflektion, sich nicht so sehr von Blendern täuschen zu lassen und vor allem Mut, Dinge zu konfrontieren.

Denn eines müssen wir in dieser Diskussion schon auch ehrlich sagen: wir haben die Führungskräfte, die wir verdienen, wir haben sie zudem gemacht was sie sind. Das System Wirecard zum Beispiel hat Jahrzehnte funktioniert, viele haben weggeschaut, weil sie profitiert haben.

Nun ist es endlich an der Zeit, mutiger und kritischer zu werden, weniger “angepasste Unterwürfigkeit” zu zeigen, vor allem Führungskräfte in Machtpositionen bei Entgleisungen kritischer, offener und vor allem früher zu konfrontieren.

Dann werden Führungskräfte auch nicht aus so einer Fallhöhe abstürzen können, das werden wir uns in Zukunft auch einfach nicht mehr leisten können. Diese Verhalten richtet großen wirtschaftlichen und emotionalen Schaden an.

Denn wir werden reife Führungskräfte für die Bewältigung unserer zukünftigen Aufgaben benötigen, denn diese sind enorm. Wir sollten rasch damit beginnen.

Autor: Mag. Werner Sattlegger, Founder und CEO Art of Life

Tips:

Buchpräsentation, Donnerstag, 09. Dezember, 2021, um 18.30 Uhr “Die Kunst reifer Führung”

Literatur

Werner Sattlegger: “Die Kunst reifer Führung”

 Thomas Middelhoff: “Der Sturz”

Manfred Kets de Vries: “Führer, Narren und Hochstapler”

Dan C. Ludwig, Clinton O. Longenecker  -The Bathsheba Syndrome: The Ethical Failure of Successful Leaders”

David Owen, Hubris

 


 
 

 
Autor: Werner Sattlegger Founder & CEO Art of Life

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungs-prozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.